Trans-Kulturelles

 

                                                                                                                                              8.11.2021

 

 

                 Literatur und Kultur der Migrant*innen aus derTürkei

              im Ruhrgebiet zu Zeiten der sog. Gastarbeit

 

"Ab den 1970er-Jahren gab es in vielen Ruhrgebietsstädten – so auch in Duisburg – eine aktive Kulturszene der Immigrant*innen aus der Türkei. Die Duisburger aus der Türkei befanden sich Mitte der 1970er-Jahre in einer kulturellen Blütezeit des Austausches zwischen der Türkei und Deutschland. Literatur spielte dabei eine wesentliche Rolle."

Nesrin Tanç

forum GESCHICHTSKULTUR RUHR 02/2021

 

 

"Fragen zur Literatur der Immigrant*innen aus der Türkei im Ruhrgebiet sind aus mehreren Perspektiven schwierig zu beantworten: Erstens ist nicht bekannt, dass es eine breite türkischsprachige Ruhr-Gebietsliteratur aus den 1980-er Jahren bis zur Jahrtausendwende gibt, die außerdem bemerkenswerte Verschränkungen mit der anatolischen Literatur- und Kulturgeschichte anbietet. Zweitens bieten die Werke und das Wirken der Autor*innen und Akteur*innen der Literatur- und Kulturszene dieser produktiven 40 Jahre die viel beschworenen

Narrative des Ankommens und Lebens in Deutschland 

,sind aber paradoxerweise – bis zum gegenwärtigen 60. Jubiläumsjahr des Anwerbeabkommens mit der Türkei – nicht in den Inhalten und Programmen im Bereich der Kultur und Literatur vertreten. Die Literatur von Schriftsteller*innen aus der Türkei, die ab den1960er Jahren im Ruhrgebiet gelebt oder über das Ruhrgebiet ge-schrieben haben, erweitert bereits seit sechzig Jahren die Grenzen der Ruhr-Gebietsliteratur. Besonders anhand der Werke von Fakir Baykurt (1929-1999), die er während seiner Lebenszeit in Deutschland verfasst hat (1979-1999), und aufgrund seines Wirkens als ausgesprochen prominenter Vertreter der anatolischen Aufklärungsreformen zur Republikgründung sowie als Initiator zahlreicher Programme im Bereich Literatur, Politik und Bildung – sowohl in der Türkei als auch in Deutschland– kann die Entstehung einer transregionalen Literatur zwischen der Türkei und Deutschland aufgezeigt werden."

 

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Türkische Gastarbeiter-Musik: Cem Karaca

 

 

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                                                                                                          6.04.2021

Brecht, Matthäus und Pasolini in einem Jesus

 

                                          „Das neue Evangelium“, ein Film von Milo Rau

 

 

Filmen über Jesus sehe ich mit Skepsis entgegen. Wie leicht entsteht eine Ikone im Kopf des Betrachters, die so schnell nicht gelöscht wird. Lässt sich das Leben Jesu ernsthaft als Historienfilm inszenieren? Oder bedarf es der Brechung wie in der Form des epischen Theaters bei Brecht? Meisterhaft ist letzteres 1964 Pier Paolo Pasolini (1922 -1975) mit seinem '1. Evangelium nach Matthäus‘´ gelungen. Gedreht Schwarz-weiß, gespielt von Laiendarstellern und gesprochen in den kondensierten Versen des Matthäusevangeliums entstand eine kühle Meditation über das Leben Jesu. Zwischen den knappen Texten, den Blicken der Protagonisten und den Fragmenten aus Bachs Matthäuspassion öffnet sich eine fast mystische Tiefe. Mel Gibsons ‚Passion Christi‘ schwimmt dagegen mit reichlich vergossenem Theaterblut auf der Oberfläche der Sensation.

Pasolini und Gibson hatten die süditalienische Stadt Matera wegen ihres pittoresken Stadtbildes zum Drehort gewählt. 2019 zur europäischen Kulturhauptstadt ernannt, gaben die Verantwortlichen der Stadt Milo Rau den Auftrag für eine weitere Leben-Jesu Verfilmung. Milo Rau (*1977), Schweizer Theaterregisseur, ist bekannt dafür, seine Produktionen im Inferno der Wirklichkeit anzusiedeln. 2019 inszenierte er die Orestie des Aischylos in Mossul, ehemals Zentrum des Terrorregimes des IS.

Das Inferno Süditaliens ist die Realität der Flüchtlinge, die das Land über das Mittelmeer erreichen, traumatisiert auf endlosen Wanderungen durch Afrika und Überfahrten in brüchigen Booten. Ohne Papiere sind sie rechtlos, abhängig von jedem Cent zum Überleben, für jede Arbeit gut und werden wie Sklaven bezahlt. Sie treten als Hauptdarsteller in ‚Das neue Evangelium‘ auf. Die Protagonisten des Films schuften als Erntehelfer in den Tomatenfeldern bei Matera. Ihre Chefs selbst, die Landwirte der Region, sind auf die billigen Arbeitskräfte angewiesen, um auf dem Druck des Marktes standzuhalten. Die Ernte müssen sie zu Schleuderpreisen verhökern, die Arbeiter erhalten Hungerlöhne. Auf unseren Tischen landen die Dosentomaten als Cent-Ware. Zusätzlich sind die Arbeiter der Willkür der Behörden ausgesetzt. Sie wehren sich und kämpfen für die Anerkennung ihrer Menschenwürde, fast notgedrungen unterstützt durch die Bauern. Zur Zeit der Drehs wird zusätzlich bekannt, dass ein Lager der Flüchtlinge, angesiedelt in einer abgewrackten Industriehalle, wegen vorgeblicher Brandgefahr geräumt wird. Eine dramatische Zuspitzung. Und genau hier implantiert Rau die Geschichte Jesu. Genau betrachtet ist es ein Film über einen Film.

Im Vorspann stehen Regisseur Rau und Hauptdarsteller Yvan Sagnet auf einer Terrasse über der Stadt. Rau erklärt von dort aus die Szenographie: Eine ikonographische Szene, weil sie anschließt an eine Fotografie, die Pasolini an derselben Stelle mit Enrique Irazoque, dem Darsteller seines Jesus, zeigt. Irazoque tritt auch in Raus Werk auf: Als Johannes der Täufer, der Jesus in seiner neuen Verkörperung am Ufer des Meeres tauft. Pasolinis Konzept weiterführend kommt auch in Szene, was die Darsteller in ihrem Alltagsleben beschäftigt. Yvan Sagnet, 1985 in Kamerun geboren, hat in Turin studiert und lebt mittlerweile als Autor und Aktivist in Italien. Er ist Sprecher der migrantischen Landarbeiter. Eigene Erfahrungen auf den Feldern hat er bereits als Buch veröffentlicht. Auch der Bürgermeister von Matera tritt auf. Er sitzt zerknirscht an seinem Schreibtisch, zerrissen in seiner Rolle als Behördenvertreter und als mitfühlender Katholik. Im Film spielt er Simon von Cyrene. In die Dokumentation zu Beginn tauchen Bibeltexte und Bibelszenen hinein wie Fremdkörper einer anderen Zeit. Gespielt werden sie in Rhythmus und Sprache des ‚1. Evangelium nach Matthäus‘. Im weiteren Verlauf verschmelzen sie mehr und mehr mit der Gegenwart. Dieser Prozess spitzt sich zu, als die Akteure einen Supermarkt stürmen und die Regale mit billigen Tomatenkonserven ausräumen, den Inhalt auf den Boden kippen. Sie waten im Saft der Tomaten.

Die Nähe zur Tempelreinigung bedarf keiner weiteren Erklärung. Jesus zieht mit seiner bunten Schar in Jerusalem ein, gesäumt von Touristen. Die Bergrede, erstmals eine Abweichung vom matthäischen Text, wird zu einer Kampfansage an Verhältnisse, die die Menschenwürde mit Füßen treten. Das Abendmahl wird zelebriert auf dem Gelände des geräumten Lagers. Die römischen Soldaten steigen mit Judas aus Polizeiwagen, um Jesus zu verhaften. Nichts wirkt aufgesetzt. Auf dem Weg zum Kreuz zeigen Massen und Peiniger ihr rassistisches Gesicht. Als Jesus ans Kreuz genagelt wird, blitzen die Smartphones. Das Schlussbild der Kreuzigung, ein Blick auf Jesus unter einem wilden Himmel, der von Boccacchio gemalt sein könnte, wird abgebrochen mit dem ‚Cut! ‘ des Regisseurs.

Alles war Theater. War alles Theater? Und die Auferstehung? Sie findet nicht als filmisches Ereignis statt, sie wird ahnbar für die, die an sie glauben. Doch niemandem wird sie aufgedrängt. Am Schluss stehen die letzten Worte des Matthäusevangeliums als eine Begleitung in eine offene Zukunft, ein Licht, das über den dunklen Rand des wogenden Meeres blinkt. Die Entstehung des Filmes in Matera wird nicht ohne Folgen bleiben. Die Filmcrew hat mit der Inszenierung einen Sauerteig in die prekäre Situation hineingearbeitet, der wirkt. Der Film ist, neben einer Verbeugung vor Pasolinis Werk, auch eine Demonstration filmischen Bibliodramas. Wie im Bibliodrama bringen die Akteure ihre Ängste und Hoffnungen mit in das Spiel. Die Situation wird nicht verwandelt, aber sie kann sich wandeln unter dem Einfluss des Sauerteiges, mit dem die biblische Erzählung die Wirklichkeit durchdringt.

 

 

Streaming unter: https://dasneueevangelium.de. Der ‚Eintritt‘ geht an ein Kino eigener Wahl.

Fair produzierte Tomatenkonserven u.a. erhält man bei der von Yvan Sagnet gegründeten Selbsthilfeorganisation für Flüchtlinge (www.nocap.it).

 

 

Dirk Harms

 

         

 

 

                                                                                                                                                   13.11.2020

Die Sprache der Pandemie

Debatten in Zeiten der Corona-Krise – Teil III

 

 Krankheit ist die Nachtseite des Lebens, eine eher lästige Staatsbürgerschaft. Jeder, der geboren wird, besitzt zwei Staatsbürgerschaften, eine im Reich der Gesunden und eine im Reich der Kranken.“ (Susan Sontag, Krankheit als Metapher, 1977)

 

Von  Dr. Norbert Reichel

 

(Demokratischer Salon)/Bonn

 

 

 

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18.07.2020

The Alchemy of Human Happiness

Chapter 167 of Ibn ʿArabi's Meccan Illuminations

Fī maʿrifat kīmiyāʾ al-saʿāda

Muhyiddin Ibn ʿArabi

Translated by Stephen Hirtenstein

 Anqa Publishing 2017

 

                               Muhyiddin Ibn ʿArabi (1165 -1240)

 

    Fī maʿrifa kīmiyāʾ as-saʿāda - Von der Alchemie der Glückseligkeit

 

 „Von der Spätantike bis ins 17. Jahrhundert galt der Hermetismus als esoterischer Kern ältester ägyptischer Theologie und Philosophie. Die Vorstellung einer altägyptischen Weisheit, die das Fundament der abendländischen Kultur und ein Christentum in nuce sei, hat sich in der Figur des legendären Weisen Hermes Trismegistos verkörpert.“[1]

Während die Alchemie „often portrayed simply as the forerunner of modern chemistry, alchemy in itself was a coherent and integrated view of the world. It tends to be understood by scholars today as a science of quite divers conceptions and definitions, spanning the Chinese world (with their emphasis on attaining spiritual perfection, making imitation gold, and finding mineral elexirs), India (rasâyana, the science of rejuvenation, and alchemy) and the West, specifically Greece and Egypt. Usually it was seen as a part of a whole psycho-medical tradition.“[2].

 Mit einer Einführung durch den Übersetzer Stephen Hirtenstein in die islamische Alchemie, die hermetische Tradition und das mysteriöse Elixier ist dieses Buch ein wesentlicher Text für alle, die sich für Sufismus, islamische Spiritualität oder mittelalterliche Alchemie interessieren.

 

 In dieser ersten englischen Übersetzung eines Kernkapitels (167) aus den berühmten mekkanischen Offenbarungen (al-Futûhât al-Makkiyya) fasst Ibn 'Arabi alle seine wichtigsten Lehren über menschliche Perfektion und wahres (jenseitiges) Glück umfassend zusammen.

 

Das Streben nach Glück und Erfüllung liegt im Herzen allen menschlichen Lebens und in der Lehre Ibn 'Arabis besteht die Kunst darin, dieses wahre Glück durch eine Vision oder auch Imagination, die jeder Manifestation zugrunde liegt und ihr vorausgeht, in der „rechten Lebensweise“ zu verwirklichen. Das geistig-spirituelle Potenzial zu diesem Ziel trägt jeder Mensch in sich. In der Gestalt zweier Reisender gibt er dem Leser einen einzigartigen Einblick in den innwendigen Menschen als Mikrokosmos, dem zwei Arten des Wissenserwerbs zur Verfügung stehen: die rationale und die mystische.

____________

 

 

[1]F. Ebeling, Zum Hermetismus in der Freimaurerei des 18. Jahrhunderts, in: Quatuor Coronati. Jahrbuch für Freimaurerforschung Nr. 48, Bayreuth 2011, S. 55-71.

 

[2]S. Hirtenstein, The Alchemy of Human Happiness, Anqa Publishing 2017, 10.

 

 

                                                                                 

                                                                          ______________________________                                                                                                                                                                                                 17.04.20

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     

Quantenphysik auf sozio-logisch

oder 

von der Selbstbeschreibung der Gesellschaft und die Soziologie

 

Gastvorlesung des Soziologen Niklas Luhmann an der Universität Augsburg 

Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät.

 (Mitschnitt vom 06.11.1986 / Hörfunk BR)

 

 

„Schon diese Festlegung auf interne Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung hat sehr weittragende Konsequenzen, die dazu führen,

dass die Soziologie, die diesen Apparat benutzt,

aus den traditionellen Prämissen der Erkenntnistheorie ausschert.

Es gibt im Falle der Selbstbeobachtung nur einen Beobachter,

der mit sich selbst ins Reine zu kommen versucht,

nämlich das System selbst.“(10:05)

 

 

                                        ______________________________________________________________

                                                                                                                                                                                                                        

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         23.01.2020

 

                                     In Gedenken zum 18. Todestag von Pierre Bourdieu ( 1930 -2002):

 

                                                       Die verborgenen Mechanismen der Macht

 

 


www.adk.de: Walter Benjamin Archiv
www.adk.de: Walter Benjamin Archiv

 

                                                                 19.10.19                                                               

       Walter Benjamin

           (1892-1940)

 

 

 

 

   

                                                                                Über den Begriff der Geschichte

      

Das destruktive oder kritische Element in der Geschichtsschreibung kommt

in der Aufsprengung der historischen Kontinuität zur Geltung.

Die echte Geschichtsschreibung wählt ihren Gegenstand nicht leichter Hand.

Sie greift ihn nicht, sie sprengt ihn aus dem geschichtlichen Verlauf heraus.

Dies destruktive Element in der Geschichtsschreibung ist als eine Reaktion auf eine Gefahrenkonstellation zu begreifen,die sowohl dem Überlieferten wie dem Empfänger der Überlieferung droht.

Dieser Gefahrenkonstellation tritt die Geschichtsschreibung entgegen; 

an ihr hat sie ihre Geistesgegenwart zu bewahren.

In dieser Gefahrenkonstellation zuckt das dialektische Bild blitzhaft auf.

Es ist identisch mit dem historischen Gegenstand; es rechtfertigt die Aufsprengung des Kontinuums.

(N 10, 1-2-3 [Sigle des Passagenmanuskripts; S. Ed. 5J)}

 

So stark wie der destruktive Impuls, so stark ist in der echten Geschichtsschreibung der Impuls der Rettung.

Wovor kann aber etwas Gewesenes gerettet werden?

Nicht sowohl vor dem Verruf und der Mißachtung, in die es geraten ist als vor einer bestimmten Art seiner Überlieferung.

Die Art,

in der es als »Erbe« gewürdigt wird,

ist unheilvoller

als seine Verschollenheit es sein könnte.

 (N 9, 3 [5. Bd. 5J)

Der landläufigen Darstellung der Geschichte liegt die Herstellung einer Kontinuität am Herzen.

Sie legt auf diejenigen Elemente des Gewesenen Wert, die schon in seine Nachwirkung eingegangen sind.

Ihr entgehen die Stellen, an denen die Überlieferung abbricht u[nd] damit ihre Schroffen u[nd] Zacken,

die dem einen Halt bieten,der über sie hinausgelangen will.

(N 9 a, 5 [5 . Bd. 5J) Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 473

 

Nicht so ist es, daß das Vergangene sein Licht auf das Gegenwärtige

oder das Gegenwärtige sein Licht auf das Vergangene wirft,

sondern Bild ist dasjenige,

worin die Vergangenheit mit der Gegenwart zu einer Konstellation zusammentritt.

Während die Beziehung des Einst zum Jetzt eine (kontinuierliche) rein zeitliche ist,

ist die der Vergangenheit zur Gegenwart eine dialektische, sprunghafte.

 (N 2 a, 3 [5. Bd. 5J)

 

{Das im Jetzt seiner Erkennbarkeit aufblitzende Bild der Vergangenheit ist seiner weiteren Bestimmung nach ein Erinnerungsbild.Es ähnelt den Bildern der eignen Vergangenheit,

 die den Menschen im Augenblick der Gefahr antreten.

Diese Bilder kommen, wie man weiß, unwillkürlich.

Historie im strengen Sinn ist also ein Bild aus dem unwillkürlichen Eingedenken

[,] ein Bild,

das im Augenblick der Gefahr dem Subjekt der Geschichte sich plötzlich einstellt.

Die Befugnis des Historikers hängt an seinem geschärften Bewußtsein für die Krise,

in die das Subjekt der Geschichte jeweils getreten ist.

Dieses Subjekt ist beileibe kein Transzendentalsubjekt sondern die kämpfende unterdrückte Klasse

in ihrer exponiertesten Situation.

Historische Erkenntnis gibt es allein für sie und für sie einzig im historischen Augenblick.

Mit dieser Bestimmung bestätigt sich die Liquidierung des epischen Momentes in der Geschichtsdarstellung.

Der unwillkürlichen Erinnerung bietet sich - das unterscheidet sie von der willkürlichen - nie ein Verlauf dar sondern allein ein Bild.

(Daher die »Unordnung« als der Bildraum des unwillkürlichen Eingedenkens.)}

Druckvorlage : Benjamin-Archiv, Ms 474

 

 

 

Angelus Novus - Der Engel der Geschichte 

 

  

Photo © The Israel Museum, Jerusalem
Paul Klee: Angelus Novus, 1920

   

   IX

 

 

Mein Flügel ist zum Schwung bereit

ich kehrte gern zurück

denn blieb' ich auch lebendige Zeit

ich hätte wenig Glück.

Gerhard Scholem, Gruß vom Angelus

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt.

Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen,

worauf er starrt.

Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt.

Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet.

Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe,

 die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert.

Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen.

Aber ein Sturm

weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen

hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann.

Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft,

der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm

zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist

 dieser Sturm.

 

 

Walter Benjamin, Gesammelte Schriften 1·3, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhauser,

suhrkamp taschenbuch, 1. Auflage 1991, 1242-43, 697-98.

 

 

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                                                                                                                                                                                      27.05.19

 

 Sabine Hossenfelder:

"Das hässliche Universum"

(Lost in Math)

oder

"Was läuft falsch in der gegenwärtigen Physik?"

 

                                                            Vortrag an der Universität Stuttgart  am 14.05.2019.

 

                               Braucht die Weltgesellschaft wirklich einen neuen Teilchenbeschleuniger?

 

 

 

 

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                                                                                                                   01.05.2019

 

                                  In WHAT we TRUST oder vom „Geist des Geldes“

 

Es liegt nicht in der geistigen Macht eines jeden Mannes,

mit nur einem Laib Brot Tausende zu speisen

und die neueren Erkenntnisse der Quantenphysik

über die Entstehung der Materie aus dem "Nichts"

- gleichsam als eine creatio ex nihilo -  

bilden noch längst kein „kulturelles Gedächtnis“.

Umso erstaunlicher ist es, dass das global wirkende Geldsystem

ein exponentielles Wachstum der Wirtschaft als „natürlich“ voraussetzt.

Sind asymmetrische Abhhängigkeitsstrukturen als „notwendiges Übel“

für das Funktionieren einer Gesellschaft wirk-lich konstitutiv?

Oder ist es nur ein (ultraviolett-) katastrophaler Denkfehler

in einem androzentrisch gedachten Werte-System?

 

                                                           Der Geist des Geldes 

Die Erfindung des Geldes und ihre Folgen für die Menschheit

 

 Ein Dokumentarfilm von Yorick Niess  (2007)

 

 

 

 Gemeinwohl-Ökonomie durch eine neue Wert-Schöpfung - das Regionalgeld:

Christian Thiel, Das "bessere" Geld: Eine ethnographische Studie über Regionalwährungen,VS Verlag, 2011.

                                                                 ______________________________________________                      

 

                                                                                                                                                                                                     22.02.19

 

 

                                Von der "Einbildung in einer Einbildung"

                                                            oder

                                     "Die Entwicklung des Erkennens"

                                            Jean Piaget (1896 -1980)

 

 

                                                     Das Biologische Denken

 

Während das Denken des Physikers zwischen Idealismus

und Realismus hin und her schwankt,

je nachdem der Akzent auf den Operationen des Subjekts liegt,

die zur Erfassung des Objekts dienen, oder auf den Modifikationen des Objekts,

ist das Denken des Biologen im Gegensatz dazu entschieden realistisch.

Der Biologe zweifelt keineswegs an der wirklichen Existenz der Dinge. die er untersucht;

er könnte sich nicht denken, daß ein Mikroorganismus, dessen Wirkungen er in gewissen Situationen wahrnimmt, in andern Augenblicken nicht feststellbar sei,

daß er seine substantielle Existenz zeitweise verlieren würde.

In dieser Hinsicht ist das biologische Denken der Gegenpol zum mathematischen Denken: Ein Mathematiker, mag er noch so sehr von der Adäquation der abstrakten Dinge mit der physikalischen Realität überzeugt  und in seiner persönlichen Erkenntnistheorie empiristisch ausgerichtet sein (was oft vorkommt), kann nicht umhin, die komplexen, idealen Zahlen usw. als Realitäten aufzufassen, die vom Subjekt konstruiert worden sind […]

Von der Mathematik über die Physik zur Biologie führt nicht eine gerade Linie,

sondern eine Kurve, die sich mehr und mehr krümmt.

Zwei Richtungen des Denkens charakterisieren die äußeren Regionen – die mathematische Deduktion einerseits und die fast reine biologische Experimentation andererseits -, wobei die sowohl deduktive als auch experimentelle Welt des physikalischen Denkens dazwischenliegt.

Die von der Biologie eingeschlagene Denkrichtung ist

umgekehrt zu derjenigen der Mathematiker,

und die Kurve bildet sogar eine Art Kreis.

Gibt es nun irgendeinen Hinweis darauf, daß sie geschlossen sei?

Vom erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt aus ist es ein lehrreiches Paradoxon,

daß das biologische Denken, dessen Struktur maximal realistisch und experimentell ist

und das die Aktivität des Subjektes auf ein Minimum zu reduzieren scheint,

sich auf ein Objekt bezieht, das den Ausgangspunkt der subjektiven Aktivität darstellt.

Die Biologie hat das Lebewesen zum Objekt; dieses bildet aber die Infrastruktur des handelnden und denkenden Wesens.

Der Mechanismus des Lebens geht in der kontinuierlichsten Weise

in den Mechanismus der geistigen Aktivität über.

Die Biologie als experimentelle  und nicht-deduktive Wissenschaft - die die subjektive Aktivität in den deduktiven und mathematischen Wissenschaften, die sich entfaltet, auf ihren einfachsten Ausdruck reduziert – ist andererseits die erste Wissenschaft, die sich auf das Subjekt bezieht:

Dies führt zu einer vollständigen Vertauschung der Positionen.

In den mathematischen Gebieten erzeugt das Subjekt die Begriffe, auf die sich eine Wissenschaft bezieht, und es findet sich insofern in den Begriffen wieder,

als diese die Natur seines Verstandes spiegeln;  

[…] 

 

            Die Struktur der biologischen Erkenntnis

 

Die Erkenntnistheorie hat bisher die Untersuchung des biologischen Denkens vernachlässigt,

weil dieses als weniger interessant erschien,

da die Konstruktionen des Subjekts wenig Gewicht haben.

Wenn man sich früher um das biologische Denken interessierte, lenkten die methodologischen Probleme Aufmerksamkeit auf sich, vor allem die Frage der experimentellen Induktion in den Wissenschaften von dem Lebendigen.

Die berühmte Einführung in das Studium der Experimentalmedizin“

von Claude Bernard ist das Modellbeispiel einer derartigen Untersuchung.

Es ist wahr, daß gewisse Philosophen begonnen haben,

das Problem der biologischen Erkenntnis von der Warte

ihrer jeweiligen Erkenntnistheorie aus zu diskutieren:

Von diesem metaphysischen Gesichtspunkt heraus stellt die Bergsonsche Schule den logischen und mathematischen Erkenntnissen,

die sich auf die anorganische Materie beziehen, eine Intuition gegenüber,

welche nicht auf eine diskursive Vernunft zurückgeführt werden kann.

Diese Intuition charakterisiert aber nicht etwa die wissenschaftliche Biologie, sondern eine Philosophie der schöpferischen Evolution und der reinen Dauer.

Es ist offensichtlich, daß solche Stellungnamen mehr die innere Ökonomie eines speziellen Systems betreffen als die allgemeine Erkenntnistheorie des logischen Denkens.  

        […]

 

                      Die zoologischen und botanischen Klassifizierungen und

                      die logischen „Gruppierungen“ von Klassen und Relationen

 

Alle elementaren Begriffe am Ausgangspunkt der verschiedenen Zweige des wissenschaftlichen Denkens, von der Mathematik bis zur Biologie und zur Psychologie, verdecken in ihrer ursprünglichen Form eine einfach logische Struktur,

die in operativen „Gruppierungen“ besteht (im Sinne,

wie wir diesen Ausdruck in Kap. II unter 3.definiert haben).

In der Arithmetik erlauben diese ursprünglichen Gruppierungen sofort eine extensive Quantifizierung, unmittelbar nach der Bildung  ihrer qualitativen oder intensiven Form.

So setzt die Erarbeitung des Zahlbegriffs (Kap. I, 6) eine Gruppierung der Operationen des Klassifizierens und des Aufreihens voraus;

wenn aber einmal die qualitativen Gruppierungen der Klassen

und der transitiven asymmetrischen Relation konstruiert ist,

können sie augenblicklich zu einem Ganzen vereinigt werden,

das von den Eigenschaften ihrer Elemente absieht, um nur die Inklusion und die Ordnung zurückzubehalten, die zur Konstruktion des Zahlbegriffs genügen.

Ebenso impliziert der metrische Raum vorgängig Gruppierungen, die sich auf die extensiven Operationen des Unterteilens und der Ordnung beziehen;

[…]

Auch das physikalische Denken gehorcht diesem Bildungsprozess,

doch die logischen Gruppierungen, die an der Wurzel der kinematischen und mathematischen Begriffe liegen und für die Bildung der elementaren Erhaltungsbegriffe und des Atomismus verantwortlich sind, brauchen mehr Zeit,

um sich metrisch im Verlaufe der individuellen Entwicklung zu qualifizieren;

sie treten deshalb in der historischen Entwicklung der Begriffe mit einem Rückstand auf.

So wurde die Erhaltung der Materie und der Atomismus

durch die vorsokratischen „Physiker“ lange vor der

tatsächlichen Verifikation durch die experimentelle Wissenschaft entdeckt.

Es ist dabei offensichtlich, daß der menschliche Verstand ohne die Unterstützung durch die Messung zur Konstruktion dieser Erkenntnisschemata gelangt ist

und daß diese auf dem Weg der einfach logischen und

qualitativen Operationen erworben wurden.

Die Kinderpsychologie gestattet die Verifikation dieser Hypothese,

wobei man im einzelnen zeigen kann, wie sich die Ausbildung der elementaren Begriffe abspielt (die Erhaltung der Materie, des Gewichts und in gewissen Fällen des physikalischen Volumens) und wie sich ein gewisser Atomismus im Zusammenhang mit dieser Erhaltung aufdrängt.

Wir haben indessen gesehen, daß auch hier eine Gruppierung  von logischen Operationen notwendig ist: die reversible Addition der Teile zu einem Ganzen impliziert sowohl die  Erhaltung dieses Ganzen als auch seine mögliche Zerlegung in Korpuskeln – auch auf einer Größenordnung,

die über die Wahrnehmung hinausgeht (Kap. V, 2. und 4.).

 [...]

 

 Physik und Biologie

 

Durch ein sehr anregendes Paradoxon der Geschichte der Biologie findet es sich,

daß die Gelehrten,

die dem Begriff einer Evolution der Lebewesen opponieren und diese Hypothese durch den Begriff einer unbeweglichen Hierarchie der Arten, Gattungen und höheren Ordnungsklassen ersetzen,

keine Schwierigkeit empfanden, die „spontane Erzeugung“  der tieferen Tierarten oder der Samen anzunehmen, ausgehend von der Verwesung, der Luft oder von Flüssigkeiten.

Es erschien ihnen schwieriger , anzunehmen,

daß eine Art aus einer anderen hervorgeht,

als sich die elementaren Lebensformen als direkt aus der anorganischen Materie  in ihren physikalischen oder chemischen Manifestationen entstanden zu denken.

[…]

Nachdem man einmal die evolutionistischen Begriffe wie die Vererbungslehre und die embryonale Entwicklung akzeptierte, zog man daraus jedoch zwei Konsequenzen:

Einerseits können die Organismen nur von anderen Organismen abstammen,

es gibt keine spontane Erzeugung, die sich ständig erneuert;

andererseits müssen die primitivsten Arten, die durch fortschreitende Komplikation auseinander hervorgehen, auf die eine oder andere  Art in einem bestimmten Moment der Geschichte aus der anorganischen Materie entstanden sein.

[…]

Es ist keineswegs erstaunlich, daß diese Art des Argumentierens die Hypothese einer Emanation des ursprünglichen Protoplasmen aus den kolloidalen Zuständen der Materie nahelegte.

Eine imaginative Metaphysik wurde so in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s geboren, die die „Naturphilosophie“, welche im Laufe der ersten Hälfte des Jahrhunderts aufgeblüht war,

im materialistischem Sinn umdrehte.

Die Reaktion gegen solche Versuche ist natürlich die des Vitalismus, der versucht,

die Eigenschaften sui generis der vitalen Organisation hervorzuheben und

sie als nicht auf die physiko-chemischen Strukturen reduzierbar zu betrachten.

Der Denkprozess, den die materialistische These und die vitalistische Antithese bezeugen,

ist somit vergleichbar mit der Meyersonschen Schemata:

der Materialismus neigte dazu, das Höhere mit dem Inferioren zu „identifizieren“,

während der Vitalismus diesen zu einfachen Identifikationen der erklärenden „Deduktion“  die „wirkliche“ Natur der „Irrationalitäten“ gegenüberstellt,

aus denen angeblich das Leben besteht.

Eine zweite Phase hat indessen das Niveau dieser ontologischen Vorstellung überschritten, als Folge von unvorhergesehenen Transformationen der Physik, die geeignet sind,

sowohl den dogmatischen Materialismus als auch den Vitalismus  zu verwirren,

denn statt  in der Unbeweglichkeit ihrer Prinzipien zu erstarren,

gelangte die Physik zur Begegnung mit der Biologie.

Schon im Laufe de 19. Jh.s wurde das Problem der Allgemeinheit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik und seiner Anwendung auf Lebensphänomene unter anderen von Helmoltz gestellt.

Die statistische Interpretation des Carnotprinzips hat in der Tat dazu geführt,

seine Notwendigkeit abzuschwächen und dem Anwachsen der Entropie

lediglich eine große Wahrscheinlichkeit zuzuschreiben,

aber die Möglichkeit von teilweisen Schwankungen offenzulassen.

Speziell läßt die Hypothese des Dämons von Maxwell die Rolle evident werden,

die ein Organ spielen könnte, das bei der Verlosung von kleinen und großen Molekülen selektiv vorgehen und dadurch gestatten könnte, zu verstehen,

warum die Lebenserscheinungen zum Teil  der Entwertung der Energie entgehen konnten: durch eine derartige Verlegung auf einer gewissen Größenordnung.

Beim gegenwärtigen Zustand der Kenntnisse stellt sich aber

das Problem immer noch in der folgenden Art.

Während verschiedene Physiker, wie z. B. Schrödinger, weiterhin wie in der klassischen Physik den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auf die Lebenserscheinungen anwendeten, griffen Autoren wie Ch. Eug. Guye die Tradition von Helmholtz wieder auf und erneuerten sie in einer Art, die, auch wenn sie den Tatsachen nicht entsprechen sollte, eine neue Art der Problemstellung darstellt und damit eine große erkenntnistheoretische Bedeutung erhält, unabhängig von den physikalischen und physiologischen Fragen, über die wir uns nicht mit der nötigen Kompetenz aussprechen können.

          […]

 

         Die zwei Richtungen des wissenschaftlichen Denkens

 

Die Untersuchung der verschiedenen Formen der Reduktion

gestattet die Dualität der Richtungen besser zu verstehen,

zwischen denen das wissenschaftliche Denken schwankt,

wie wir im Verlaufe dieses Werkes festgestellt haben: die realistische Richtung mit einer Assimilation des Höheren auf das tiefere und

mit einem Primat der auf das Objekt zentrierten Begriffe,

wie die Substanz und die Kausalität, und die idealistische Richtung,

die durch das Postulat der Irreversibilität des Höheren charakterisiert ist und durch das Primat der Deduktion und der bewußten Implikation.

Die Wissenschaft, weit davon entfernt, ausschließlich einem „mächtigen realistischen Instinkt“ zu folgen, um die Worte von  E, Meyerson zu verwenden, gehorcht,

wenn man sie in ihren Gesamtrelationen und in den Grenzen zwischen den Disziplinen betrachtet, zwei mächtigen Instinkten,

die manchmal antagonistisch und manchmal komplementär sind,

von denen weder der eine noch der andere seinen Mitbewerber besiegen kann,

denn Realismus und Idealismus sind in einem untrennbaren Zirkel des Subjekts

und des Objekts miteinander verknüpft.

Die genetische Erkenntnistheorie beschränkt sich darauf,

die Existenz dieses Zirkels festzustellen und nach einer Erklärung  seiner historischen Permanenz zu suchen, sie hat sich aber  nicht über seinen definiten oder nicht-definitiven Charakter auszulassen, denn um zu wissen,

ob die realistische oder idealistische Tendenz siegen oder

gar sogar diesen Zirkel aufheben wird, müßte man die zukünftigen Erkenntnisse vorwegnehmen und auf die Geschlossenheit des heute noch unvollendeten Zirkels extrapolieren, den nur die speziellen Disziplinen schließen,

in eine andere Reihenfolge transformieren oder in eine andere Art der Reduktion überführen können.

[…]

Ein nicht geschlossener Kreis kann zu einer Art Spirale führen, zu einer Helix

oder zu einem falschen Knoten,

wobei sie sich nie schließt.

Dies wäre vor allem dann der Fall,

wenn durch die Reduktion des Geistigen auf das Biologische,

des Vitalen auf das Physikalisch-Chemische,

des Physikalischen auf das Mathematische und des Mathematischen auf das Psychologische das Bild dieser Bereiche, das uns die Wissenschaft vermittelt,

immer komplexer würde, so daß jede Reduktion in einem Sektor ein Zurückweichen des entgegengesetzten Sektors bedeuten würde.

In diesem Fall würden die idealistischen und die realistischen Lösungen endlos abwechseln.

Es ist indessen nicht ausgeschlossen, daß sich eine der Seiten des Zirkels,

statt symmetrisch zur andern zu bleiben,

zu krümmen beginnt,

bis sie sich der andern nähert ( in der Art einer Mondsichel),

in diesem Fall ist es egal, ob der Realismus oder der Idealismus triumphiert,

der andere Aspekt des Erkenntnissystems wäre dem ersten gleichgestellt.

[…]

Die idealistische Interpretation erscheint klar.

Die Reduktion der Physik auf die Mathematik führt zu einer fortschreitenden Auflösung der Realität, sogar die Materie erscheint nach Aussagen von Jean und Eddington als ein Wellenpaket, das sich selbst in Gleichungen auflöst.

Die innere „Objektivität“ de mathematischen Wissenschaften liefert andererseits einen exakten Ausdruck der Denkstruktur.

Die Mechanismen des lebendigen Körpers lassen sich gleichzeitig durch die physikalischen Gesetze erklären, die rein mathematische Schemata geworden sind,

und durch die psychologischen Gesetze.

Das Leben als Mechanismus löst sich somit in physikalische Erscheinungen auf,

während sein materieller Aspekt wie die physikalische Welt von „der Art und Weise,

wie die Operationen ineinandergreifen, und nicht von ‚ihrer Natur‘ abhängig ist“,

wie Eddington sagt[1].

Somit wäre alles nur intellektuelle Koordination,

und unsere Wahrnehmungsorgane trügen die volle Verantwortung

für die realistische Illusion;

die sinnliche Realität reduzierte sich durch eine Art Korrespondenzprinzip

zwischen dem Perzeptiven und dem Operativen auf den Geist,

d.h. letzten Endes durch eine Beziehung zwischen dem System der vorgestellten Indizien oder Symbole und dem System der logisch-mathemaischen Bedeutungen.

Für den Realismus anderseits absorbiert die Physik die Biologie und

bildet damit einen Zugang zum eigentlichen Sein. 

Dieser Zugang setzt aber eine vollendete Sprache voraus

sowie die Mathematik,

eingeschlossen die Logik:

eine Sprache, deren Präzision sich daraus ergibt,

daß das Bewußtsein des Subjekts in seinen Gleichgewichtszuständen gewiss nervliche Koordinationen reflektiert,

die ihrerseits den getreuesten

Ausdruck der mikrophysikalischen Wechselwirkungen darstellen,

die ohne große Unbestimmtheit erreichbar sind.

Wenn die Mathematik über die nackten Tatsachen hinausgehen und

eine innere und reversible Notwendigkeit erhalten kann,

die zur experimentellen Unbestimmtheit kontrastiert, dann nur,

weil sie sich auf das Mögliche bezieht und nicht mehr auf das irreversible Wirkliche.

Da ein Gleichgewichtszustand immer von einem System von möglichen,

reversiblen Bewegungen abhängt, kann man verstehen,

wie eine im Gleichgewicht befindliche Intelligenz

die Realität vom Möglichen aus deduzieren kann.

Werden nun diese zwei Thesen, wenn man sie in Funktion des wirklichen Fortschritts der Erkenntnis bis in ihre letzten Konsequenzen vorantreibt,

immer als antithetisch erscheinen wie heute,

oder werden sie schließlich nahezu denselben Gegenstand

in zwei verschiedenen Sprachen ausdrücken?

Auch wenn die Verknüpfung zwischen den Wissenschaften einen Kreis bildet,

scheint die letztere Lösung das Wahrscheinlichste.

Doch die genetische Erkenntnistheorie verbietet diese Antizipationen und

muß eine offene Doktrin bleiben.

Ihre Aufgaben liegen nicht darin, den Kreis der Wissenschaften zu schließen,

sondern zu untersuchen, ob die partiellen Erkenntnisse dazu beitragen,

im Maße ihres Anwachsens den Zirkel zu schließen,

und wie sie sich darin ausnehmen.

 

 

     [1] A. Eddington, „Die Naturwissenschaft auf neuen Bahnen“. 1935,  S. 242.

 

 

 

Jean Piaget, Die Entwicklung des Erkennens III,  Das biologische Denken, Das psychologische Denken, Das soziologische Denken, GW, Bd.10, Klett Verlag Stuttgart, 1975, passim.

 

 

 Neben der Entwicklung einer "imaginativen Metaphysik in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s,

die die 'Naturphilosophie' im materialistischem Sinn umdrehte", gab es auch Strömungen, die  die Naturphilosophie als Ausdruck des kosmischen Menschen in einem lebendigen Universum interpretierten, wie es z.B. A.A. Schwaller de Lubicz (1887-1961) 1949 in seinem "Temple In Man" beschreibt: 

 

"The Universe conceived as a living Being—Cosmic Man—is Life:

that is to say, it is a gestation. Time is thus gestation, the distance

between the seed and its fruit; the Movement is the growth that

produces the volume, which is only substance formed into body or 

volume, by a seed, Energy O — the ferment fixator

that appears as Mass."

 

 

R.A. Schwaller de Lubicz, The Temple In Man : The Secrets of Ancient Egypt /  translated by Robert & Deborah Lawlor ; illustrated by Lucie Lamy. imprintBrookline, Mass. : Autumn Press ; [New York] : Distributed by Random House, 1977, 58-59.

 

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                                                                                                                                                     29.01.19

 

L'Oiseau De Bois · Anouar Brahem

   (Conte De L'Incroyable Amour, 1992)

 

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                                                                                                                      24.12.2018

 

 

 

                                           Vom „Golem“ Marias oder:  Jesus in der Theosophie Ibn Arabis

                                                                                                                                                                                                                       قَالَ  إِنَّمَآ  أَنَا۠  رَسُولُ  رَبِّكِ  لِأَهَبَ  لَكِ  غُلَٰمًۭا  زَكِيًّۭا                                                                                 

                              Qāla   ʾinnamā   ʾana   rasūlu   rabbiki   li-ʾahaba   laki   ġulāman   zakiyyan .

                                             

                           Er (Gabriel) sprach: Ich bin nur der Gesandte deines Herrn, um dich mit einen                                                         rechtschaffenen/lauteren Jungen  zu wappnen.

 

                                                                                                                                                                                                                                   Maryam (19), 19

 

Jesus im Gespräch mit einem Frommen und einem Sünder. Persisches Manuskript (1497)
Jesus im Gespräch mit einem Frommen und einem Sünder. Persisches Manuskript (1497)

War Jesus für die frühislamischen Mystiker und Asketen ein Modell asketischen Lebens, so war er in den Werken der mystischen Dichter, die alte Legenden übernahmen und ausschmückten, das Vorbild für die Menschen in Güte und Reinheit, während er in der Dichtung im Allgemeinen zum Symbol des Geliebten wurde, der durch seinen erhofften Kuss dem vor Sehn­sucht halbtoten Liebenden neues Leben einhaucht, aber auch zum Geist, der mit dem vergänglichen materiellen Leib kontrastiert wird.

In den hochfliegenden theosophischen Spekulationen Muhyiddin Ibn Arabis aber nimmt er einen besonderen Platz ein.

Ibn Arabi, 1165 in Murcia geboren und nach langen Wanderungen 1240 in Damaskus gestorben, hinterließ, abgesehen von Hunderten kleinerer Werke, zwei Hauptschriften, die Futuhat al-Makkiyya (die »Mekkanischen Eröffnungen«), in denen er in 560 Kapiteln jene Offenbarungen mitteilt, die er in einem Moment der Erleuchtung beim Umwandeln der Kaaba in Mekka empfangen hatte, und die Fusus al-Hikam (die »Ringsteine der Weisheitsworte« oder Die Weisheit der Propheten), die, vom Propheten Mohammed selbst inspiriert, Auslegungen der speziellen Stellung jedes der Mohammed vorausgehenden siebenundzwanzig Propheten enthalten, deren Lehre dann mit Mohammed, dem abschließenden Gottesgesandten und »Siegel der Propheten« vollendet wurde.

Jesus spielt eine außerordentlich wichtige Rolle in diesem komplizierten System, wie sich aus den Ibn Arabi in jüngster Zeit gewidmeten Studien erschließen lässt. Seine Biografie von Claude Addas, La quête du soufre rouge, (»Die Suche nach dem roten Schwefel«; der wichtigsten Ingredienz in der Alchimie), kommt immer wieder auf Jesu Rolle für den großen mystischen Denker zurück, und es wäre zu wünschen, dass Claude Addas oder ihr Vater, Michel Chodkiewicz, einmal ein zusammenfassendes Werk über die Rolle Jesu und Marias verfassen würden, einem Thema, das in ihren Werken immer wieder anklingt.

Hier können nur einige wichtige Punkte hervorgehoben werden. Dabei ist das Kapitel über Jesus in den Fusus al-Hikam besonders lesenswert, obgleich es von zahlreichen theoretischen Bemerkungen durchdrungen ist. Im Folgenden sind die zentralen Sätze übersetzt:

Vom Wasser Marias oder Gabriels Hauch,

in Gestalt eines Menschen, geschaffen aus Ton,

so formte der Geist sich im Wesen, gereinigt

von aller Natur, die genannt wird sidschin (Gefängnis).

Deswegen währte sein Bleiben so lange

auf Erden, wohl tausend Jahre und mehr.

Ein Geist von Gott und von anderen nicht,

so belebte er Tote, schuf Vögel aus Ton,

bis dass er verbunden ganz mit seinem Herrn

und wirkte durch Ihn in der Tiefe, der Höhe.

Gott reinigte ihn im Leibe und klärt’ ihn

im Geist und macht’ ihn gleich Sich im Erschaffen.

 

Und Jesus zeigte sich und belebte.

 

 

 

 

Aus: Annemarie Schimmel: Jesus und Maria in der islamischen Mystik, Seite 99 ff.

© Kösel-Verlag (1996), München / Random House, Chalice Verlag 2018.

 

 

 

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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               16.12.2018                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               

                                                                            Game over?

                                                      Von der Geschichte der Permanenten Revolution:

 

                                                                         "OVERGAMES" (2015)                                                                                                                                Ein Film von Lutz Dammbeck

 

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                                                                                                                       23.11.18

 

 

                                     Vom Alptraum des Menschseins

                                                                oder

                                             "Foucault gegen Foucault"

 

                                                      Dokumentation Frankreich 2014

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                                                                                                                                                   19.10.2018

 

Terrorismus als Konstrukt

 

Schwarze Propaganda, politische Bedrohungsängste und der Krieg gegen den Terrorismus in Reagans Amerika

 

Stereotypisierungen und Narrative von Terrorismus, Gewalt und bewaffnete Konflikte? Entlang dieser Leitfragen begründet dieses Buch eine Kritische Terrorismusgeschichte im Rahmen der historischen Friedens- und Konfliktforschung. Die zentrale These ist, dass die Entstehung des »Krieges gegen den Terrorismus« untrennbar mit der Geschichte des Kalten Krieges verknüpft ist.

Zu Beginn der 1980er Jahre bezeichnete die Regierung von Ronald Reagan »internationalen Terrorismus« als sowjetische Verschwörung gegen die westlichen Demokratien und so erstmals als existenzielle Bedrohung der USA.

Wie dieses Buch aufdeckt, basierte diese Vorstellung eines globalen Terrornetzwerks auf »Fake News«: Schwarze Propaganda und Desinformation, welche die CIA und westeuropäische Geheimdienste ab Mitte der 1970er Jahre kreierten und die dann von Journalisten und Terrorismusexperten verbreitet wurden.

Nichtsdestotrotz begründete dieses Wissen bis zur Mitte der 1980er Jahre eine erste, wenn auch kurzlebige Militarisierung der amerikanischen Antiterror-Politik.

Adrian Hänni schreibt eine Gewaltgeschichte der Gegenwart, welche nicht nur die Historizität der heutigen, vermeintlich neuartigen Strategien zur Bekämpfung des Terrorismus aufzeigt,

sondern auch den machtstrategischen Einsatz von Wissen über Terrorismus analysiert.

 

 

 Adrian Hänni ,Terrorismus als Konstrukt: Schwarze Propaganda, politische Bedrohungsängste und der Krieg gegen den Terrorismus in Reagans Amerika , Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedens- und Konfliktforschung , Band 24, Klartext-Verlag 2018.

 

 

 

Eine Rezension von Thomas Riegler über "Terrorismus als Konstrukt":

 

So wie aktuell der radikal-islamistische Terrorismus oft als monolithische Bedrohung aufgefasst wird, war auch der Diskurs während des Kalten Krieges durch Stereotypisierungen und Essentialismus gekennzeichnet.

Zu Beginn der 1980er Jahre brandmarkte US-Präsident Ronald Reagan die Sowjetunion als Hort des internationalen Terrorismus.

Diese Sichtweise wurde mittels Expertise regierungsnaher Think Tanks untermauert und auch kulturell transportiert - etwa in Form von Romanen oder Hollywood-Actionfilmen. Dabei gründete sich die Vorstellung einer vom Kreml gesteuerten, global agierenden terroristischen Verschwörung oftmals auf "schwarze Propaganda", mit der westliche Geheimdienste zuvor Journalisten und Terrorismus-Experten bewusst "angefüttert" hatten.

Diese Aspekte umfassend aufgearbeitet und zur Diskussion gestellt zu haben, ist das Verdienst der hier zu besprechenden Monografie des Schweizer Historikers Adrian Hänni.

 

Auf der Basis von Primärquellen aus US-amerikanischen und europäischen Archiven vertritt Hänni die These, dass die "Genese des Krieges gegen den Terrorismus" nach den Anschlägen vom 11. September 2001 "untrennbar mit der Geschichte des Kalten Krieges verknüpft, ja weitgehend von ihr bedingt ist".

Das Narrativ einer durch "Schurkenstaaten" wie den Irak, Iran und Nordkorea gesteuerten terroristischen Bedrohung und deshalb notwendiger militärischer Bekämpfungsstrategien führe von George W. Bush zurück zum "Vorläufer" Ronald Reagan (18f).

Hänni charakterisiert diese beiden miteinander verwobenen Terrorismusdiskurse grundsätzlich als "Machtstrategien", die es damals ermöglichten und heute immer noch ermöglichen, die Innen- und Außenpolitik der USA "maßgeblich" zu beeinflussen (37).

 

 

weiter unter: www.sehepunkte.de

 

Thomas Riegler: Rezension von: Adrian Hänni: Terrorismus als Konstrukt. Schwarze Propaganda, politische Bedrohungsängste und der Krieg gegen den Terrorismus in Reagans Amerika, Essen: Klartext 2018, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 5 [15.05.2018], URL: http://www.sehepunkte.de

/2018/05/31458.html

 

 

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                                                                                              Isis und Osiris

                                                                                             Liebe und Tod

 

Isis und Osiris [ [1]] bilden eines der großen Paare

in der mythologischen Überlieferung der Menschheit.

Sie stammen aus Ägypten, wo ihr Kult bis weit ins dritte

vorchristliche Jahrtausend zurückreicht, haben aber nach ihrer ägyptischen

noch eine griechische und römische Karriere gemacht und sind dadurch auch in der Vorstellungswelt des Abendlandes bis heute lebendig geblieben.

Der Philosoph und Bischof George Berkeley identifizierte

im 18. Jahrhundert [ [2]] Isis und Osiris als natura naturata und natura naturans,

für Kant war Isis die Mutter Natur, die französische Revolution instituierte einen Isiskult

und Mozarts Zauberflöte mit dem Chor „O Isis und Osiris“ hält diese beiden Namen bis heute lebendig.

Was hat es in der ägyptischen Mythologie mit diesem Götterpaar auf sich

und welcher Aspekt der Verbindung von Mann und Frau wird von ihm verkörpert?

Der Mythos von Isis und Osiris, das muß gleich vorweg betont werden,

fällt völlig aus dem Rahmen der normalen Liebesgeschichten.

Von sich Begegnen, Verlieben, Werben, Widerständen, deren Überwindung und endlicher Vereinigung der Liebenden ist hier nicht die Rede.

Isis und Osiris sind bereits im Mutterleib verbunden.

Während Liebesgeschichten mit der Ehe enden,

kennt dieser Mythos gar keine voreheliche Existenz der beiden Partner.

Die Sache ist aber noch viel extremer.

Der Mythos beginnt nämlich eigentlich erst mit dem Tod des Osiris.

Das Besondere dieser Paar-Beziehung liegt darin,

daß sie die Grenze zwischen Leben und Tod überschreitet,

daß sie sich zwischen einer lebenden Gattin und einem verstorbenen Gatten entfaltet.

Die Liebe der Isis gilt einem Toten. [3]

In dieser Überschreitung der Todesgrenze erinnert der Mythos von Isis und Osiris an den von Orpheus und Eurydike.

Auch hier vermag die Liebe die zu überwinden, die der Tod aufgerichtet hat,

die Grenze zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits, Oberwelt und Unterwelt.

Hier greift eine sich über alle Grenze hinwegsetzende Liebe zum Medium der Musik,

um die Herzen der Unterweltlichen zu betören und

die eisernen Ordnungen des Totenreichs aus den Angeln zu heben.

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Jan Assmann, Isis und Osiris, in: Klinger/Böhm/Franz, Paare in antiken religiösen Texten und Bildern. Symbole für Geschlechterrollen damals und heute, Würzburg 2002, 9-28.

 

 

[ [1] Zur Etymologie der Namen ägyptischer Hauptgötter vgl. E. Meier, Hebräisches Wurzelwörterbuch, Mannheim 1845, 737 ff. und P. Kunitzsch, Untersuchungen zur Sternenomenklatur der Araber, Wiesbaden, 1961, 21-26;

und K.P. Kuhlmann, Zur Etymologie des Götternamens Osiris, in: Studien zur altägyptischen Kultur, Bd. 2, 1975, 135-138.];  vgl. noch Richard Hinckley Allen, Star-Names and their Meanings,Leipzig, 1899, 303-320.

 

[ [2] „Zum Ägyptenbild in der abendländischen Kulturgeschichte“ im 18. Jahrhundert vgl. Ebeling, Florian, Zum Hermetismus in der Freimaurerei des 18. Jahrhunderts, in: Wege der Lichtsuche. Freimaurerei zwischen Renaissance und Enlightenment, Quatuor Coronati, Jahrbuch für Freimaurerforschung Nr. 48), Bayreuth 2011, 55-71.]

 

3 Zum ägyptischen Totenglauben s. mein Buch Tod und Jenseits im alten Ägypten, München 2001, mit dem sich dieser Artikel in vielen Punkten überschneidet, insbesondere mit dem 1. Und 6. Kapitel.

 

 

 

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                                                                                                                                21.06.2018

 

 

 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2018

für Aleida und Jan Assmann  

                                „Ich bin alles, was war, ist und sein wird“ [1]

 

     

Die beiden Kulturwissenschaftler Aleida und Jan Assmann

werden mit einem der bedeutendsten Preise des Landes geehrt.

Ausgezeichnet werden sie für ihre Arbeiten zur Erinnerungskultur

und ihr Plädoyer gegen religiöse Intoleranz.

 

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht 2018 an die Kulturwissenschaftler Aleida und Jan Assmann. Dies gab der Börsenverein am Dienstag bekannt.

Das Ehepaar habe ein zweistimmiges Werk geschaffen, „das für die zeitgenössischen Debatten und im Besonderen für ein friedliches Zusammenleben auf der Welt von großer Bedeutung ist“, begründete der Stiftungsrat seine Vergabe. Die renommierte Auszeichnung wird zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse am 14. Oktober in der Paulskirche verliehen.

 

Das vielfach wissenschaftlich ausgezeichnete Ehepaar Assmann, das fünf Kinder hat, lebt in Konstanz. Die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann (71) hat sich mit Studien zur Erinnerungskultur einen Namen gemacht.

 

 

 „Angesichts einer wachsenden politischen Instrumentalisierung der jüngeren deutschen Geschichte leistet sie in hohem Maße Aufklärung zu Fragen eines kulturellen Gedächtnisses einer Nation“, stellt der Stiftungsrat fest.

„Ihr Werk weist darauf hin, dass ein offener und ehrlicher Umgang mit der Vergangenheit grundlegende Bedingung für ein friedliches Miteinander ist.“

 

 

Vollständiger Artikel (12.06.2018)

 

unter:

www.welt/kutlur.de

 

[1] Jan Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis: zehn Studien, C.H. Beck 2007, 220.

 

 

 

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Im Gedenken an

Andrei D. Sacharow (1921-1989):

„Un homme libre"

Eine Dokumentation von Iossif Pasternak

                                                       arte/Frankreich 2009 

  www.archive.org

 

 

 

 

 

 

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                              Kommunikation – ein nicht zu unterschätzendes soziales Kapital

 

                         Roger Willemsens Keynote-Rede auf dem Kommunikationskongress 2014 

                                   Mehr  zu und von Willemsen: SWR UniTalk Mainz vom 03.12.2014

 

                                                  "Alles Roger in der Republik?"

 

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                                                             Anouar Brahem

 

                             Conte De L'incroyable Amour ( 1991)

                                                                                                 

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                                                                                                                      18.03.18                          

 

                                     Gülbey, Gülül und das Lamm "Dschanum" 

 

                                               Eine anatolische Ostergeschichte

 

 

Viel Sinn hat es nicht, sie getrennt zu nennen,

aber es geschehe der Ordnung halber,

die besonders unter den Hirten sehr notwendig ist.

Denn wohin käme ein Hirte, wenn er nicht wüsste,

welches seiner Lämmer gedeckt werden muss,

welches noch nicht?

Er muss in seinem Kopf, der nicht von Gedanken an Schreibzeug und ähnlichem belastet ist,

eine gute Berechnung für alle diese Erfordernisse

seiner Herde besitzen.

Und somit wusste der Hirte Mir Min, zu dessen Herde sie alle drei gehörten,

sie – Gülbey, Gülül und das Lamm, – das für das Lamm nunmehr

die Zeit des Deckens gekommen sei. 

Genauso, wie es Mir Min wusste, war es aber auch Gülbey und Gülül bekannt;

und sie, die seit ihrer Geburt keinen getrennten Gedanken gehabt hatten,

dachten auch das gleiche.

Es möge nicht vergessen werden, dass auf den Bergen Anatoliens das langhaarige Schaf daheim ist, das sogenannte Angoraschaf (alter Name für Ankara).

Die Wolle dieses Tieres bedeutet den eigentlichen Reichtum der Hirten,

nicht aber seine Milch oder Nachkommenschaft. Solange das Schaf jungfräulich ist, bleibt die Wolle besonders glatt und wertvoll.

Hat es Junge gehabt, verliert sie an Glätte und Wert, weshalb mit dem Decken dieser Tiere oft sehr lange Zeit gewartet wird.

Man muss wissen, dass der Knabe Gülbey und das Mädchen Gülül Zwillinge waren.

Sie wussten von ihrer Mutter nichts, denn sie war bei ihrer Geburt gestorben.

Von ihrem Vater wussten sie nichts, denn er war zu jener Zeit, als ihre Mutter starb,

von einem fremden Stamme getötet worden, weil er im Verdacht stand, er habe einen Bock gestohlen, um seine Herde aufzubessern.

Alle diese Dinge aber sind nicht von besonderer Bedeutung, denn ob eine Mutter stirbt innerhalb der Hirtenvölker, ob nicht, ob ein Vater ermordet wird, ob nicht,

das ist so sehr wichtig nicht.

Im Stamm eines Hirtenvolkes sind Mutter und Vater vorhanden,

ganz gleich wie auch ihr Name laute.

Da ist immer eine Frau, die gerade ein Junges gebar, und sie gibt dann mit einer Brust dem eigenen Kinde Lebensmilch und mit der anderen dem fremden.

Da ist auch immer ein Mann vorhanden, dem gerade der Berg in seiner Wildheit den Knaben raubte und der bereit ist, das fremde Gewächs als seines zu beachten,

hoffend, einen guten Hirten aus ihm zu machen mit der Zeit.

So eben geschah es bei Gülbey und Gülül, die niemals an Verlassenheit litten.

Doch ist zu bedenken, dass sie nicht nur Bruder und Schwester waren,

sondern Zwillinge.

Das will besagen: Gleichheit der Gesichtszüge, der Haltung, des Verlangens nach Freiheit, des Sehnens nach der Höhe und der Kraft, die sie überwindet – ja, auch Gleichheit der Träume, jenes geheimnisvollen Lebens des scheinbar Unwirklichen, das in Wahrheit wirklicher ist als das Greifbare, alles dieses war ihnen gemeinsam. Ihnen ja.

Doch es besteht noch eine Sitte bei den Hirten, und das ist diese: Ein Lamm, das am selben Tage geboren wird wie ein Mensch, gehört dem Geborenen, wenn es genau zur selben Stunde geworfen wird, in der die Menschenmutter ihrer Last ledig wird.

Und so begab es sich, dass Gülbey und Gülül seit ihrem ersten Luftschrei bereits ein Besitztum hatten, davon sie noch nichts wussten, das ihnen aber unveräußerlich zu eigen war, im Leben und im Sterben: das Lamm Dschanum.

Nun weiß ja jeder, dass Dschanum heißt „meine Seele“ und der Ruf ist,

den wir ausstoßen in Freude, in Kummer, in Erstaunen, ja, wann immer eben jenes Etwas, das man Seele nennt, angerührt wird.

So nannten sie später das Lamm „Dschanum“, denn es war wie die Seele, die einem ja auch ungerufen beschieden wird, ob man sie nun begehre, ob nicht.

Und mittlerweile, da wir anheben, all dieses zu berichten, waren sie alle drei,

der Bedeutung und der Reihe nach zu benennen,

 

Gülbey, Gülül und das Lamm, fünf Jahre alt geworden...

 

Fortsetzung siehe Leseprobe

 

Elsa Sophia von Kamphoevener, Anatolische Hirtenerzählungen, Ullstein 1993,11-27.

 

 

"Viele Jahre lang ritt, begleitet von zuverlässigen Dienern,

ein abenteuerlustiges Mädchen in Knabenkleidung durch Anatolien.

Die Knabenkleidung war eine Sicherheitsmaßnahme und auch zum Reiten erforderlich.

Oftmals nun verbrachte man die Nacht im Karawanserail, diesem Schutzplatz für Herden, Reiter, Getier aller Art und ihre Hirten. Begleitet wurden diese nomadisierenden Hirten fast immer von Erzählern, die dem wandernden Volk die langen Tage der Beschwernis vertrieben und nachts mit ihnen am Feuer saßen, um die Wächter des kostbaren Herdengutes durch ihre Märchen und Geschichten am Einschlafen zu hindern.

Man saß am Feuer, das mitten im großen Innenraume zwischen Kamelen, Pferden, Eseln und Herdenvieh brannte, und hörte zu. Immer wieder traf man sich, wieder und wieder hörte man den berühmtesten aller Erzähler, Fehim.

Und dann ergab es sich, dass er einmal zu mir als dem "Sohn" des Paschas sagte: "Bey Efendim, du kennst meine Geschichten, ich weiß es; tue mir die Güte an, erzähle statt meiner, denn ich bin heute sehr müde."

Das geschah. Und wiederholte sich. Und so kam es dann, nach Jahren,

dass Fehim jenen in seine Gilde aufnahm, den er für einen Jüngling hielt,

und auf diese Art unwissentlich ein Unikum schuf:

Einen vollgültigen türkischen Märchenerzähler, der eine europäische Frau ist."

 

           

 

An Nachtfeuern der Karawan-Serail - Märchen und Geschichten Alttürkischer Nomaden erzählt von Elsa Sophia von Kamhoevener - Band 2, Rohwolt 1975, Einband.

 

 

 

Leseprobe: Elsa Sophia von Kamphoevener, Anatolische Hirtenerzählungen, Gülbeg,                         Gülül und das Lamm Djanum,  Ullstein Verlag 1993,11-27.

 

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                                                                                                                                                                                        23.02.18

 

                                                 Anouar Brahem

 

                                                                          Kashf /كشف  (Thimar, 1997)

 

 

                                                                                                                       

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Im Kreislauf der Gewalt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 © Birgit Hupfeld

                                                Das Internat – Ersan Mondtag

 

entwirft in Dortmund die Höllenvision

einer ihre Fehler ständig wiederholenden Menschheit

 

                                                                      von Sascha Westphal

 

Dortmund, 9. Februar 2018. Fast fortwährend dreht sich die Bühne. Aus dem gelben Waschraum, an dessen Wänden statt Duschen neun dämonische Wesen mit leuchtend roten Augen hängen, wird ein Schlafsaal mit gemaltem Kaminfeuer und drei, in jeweils vier Etagen gestapelten winzigen Betten. Aus dem wird wiederum ein großer Raum, der je nach Mobiliar mal Klassenzimmer, mal Speisesaal, mal Partystätte und mal Folterkammer ist. Ihm folgt eine Außenansicht des Internats mit Zinnen, einer langen Treppe und einer ganzen Reihe gotischer Spitzbögen, und die geht schließlich wieder in den Waschraum über. Jede Drehung offenbart neue Details und verstärkt noch den albtraumhaften Eindruck, den die wie von Kinderhand bemalten Wände erwecken.

Es gibt kein Entkommen, nur ein ewiges Kreisen gegen den Uhrzeiger-sinn.

 

Täter oder Opfer?

Der Anfang ist nicht der Anfang, schließlich lässt sich in einem Kreis kein Anfang ausmachen. Also stößt Ersan Mondtag das Publikum einfach mitten ins "Internat" hinein, diese Horrorvision unserer Welt.

Während aus dem Off die "Stimme eines toten Kindes" erklingt, das als verführerischer böser Geist das Internat heimsucht, wird ein nackter Junge von einigen uniformierten Mitschülern in den großen leeren Saal geleitet.

Philipp Joy Reinhardt ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wirklich nackt. Er trägt einen dieser bemalten Ganzkörperanzüge mit Stoffgenitalien, wie man sie aus Mondtags Die Vernichtung kennt. Unter den Blicken der anderen Zöglinge muss sich Reinhardt auf dem Boden legen, in Erwartung der Züchtigungen und Erniedrigungen, die unausweichlich erscheinen. Doch sie bleiben aus. Stattdessen beginnen die Schüler in ihren an vergangene Zeiten erinnernde blaue Uniformen sich rückwärts zu bewegen.

 

 

Internat3 560 Birgit Hupfeld u 

 

Analog zur Bewegung der Bühne dreht Mondtag die Zeit erst einmal zurück.

Wie konnte die geschlossene Internats-Gesellschaft, in der es keine Erwachsenen, jedoch strengste Hierarchien gibt, an diesen Punkt kommen?

Ist Reinhardt, den die Geisterstimme umgarnt und immer wieder den Jungen im Schnee nennt, nun ein Opfer oder selbst auch ein Täter?

Die Rückwärtsbewegungen frieren meist ein und formen vertraute und

dennoch verstörende Tableaus.

Mondtag zitiert die bekannten Motive der Internatsliteratur und -filme, verzerrt sie aber durch eine schwarzromantische Folie, die nicht nur über dem Bühnenbild und den Kostümen liegt.

In dieser Zöglingsanstalt werden die kaum unterscheidbaren Schüler

nicht nur gedrillt und gebrochen.

Sie werden vielmehr den allgegenwärtigen Dämonen geopfert.

 

Die Unterdrückten werden zu Unterdrückern

Wenn die Schüler gemeinsam Eichendorffs Zwielicht rezitieren und in eine Art Gebet verwandeln, offenbart sich der Kern dieser Gemeinschaft:

eine paranoide Furcht vor jedem und allem, die den perfekten Nährboden für Gewalt und Gräuel aller Art bildet.

Und eben diese alles durchdringende Furcht breitet sich wie ein Nebel von der Bühne in den Zuschauerraum aus.

Die Erzählung mag rückwärts ablaufen, aber sie führt zu keinem fest umrissenen Anfang. Zwischen den einzelnen Szenen klaffen Lücken. Vieles könnte ein Traum sein.

Hat Philipp Joy Reinhardts Junge im Schnee zwei seiner Mitschüler ermordet?

Oder war das auch nur eine Phantasie?

 

Auf jeden Fall sind Mondtags Figuren in einem Kreislauf der Gewalt gefangen, dem sie ebenso wenig wie dem Internat entkommen können.

Nach etwa 50 Minuten springt die Inszenierung dann zu ihrem Eingangsbild zurück. Nur ist Philipp Joy Reinhardt jetzt tatsächlich nackt. Die Einflüsterungen der Stimme des toten Kindes zeigen Wirkung. Die Gemeinschaft spaltet sich. Eine Revolution nimmt ihren Lauf. Nur bringt sie nichts als eine Wiederholung des schon Gewesenen. Vordergründig schreiten die Aufständigen, die ihre Uniformen von der Bühne herab dem Publikum vor die Füße werfen, nach vorne. In Wahrheit gehen aber auch sie nur rückwärts.

Die Unterdrückten werden zu Unterdrückern.

 

Von der ewigen Kunst

Zu Beginn verkündet die Stimme des toten Kindes:

"Ich glaube, die größte Barmherzigkeit dieser Welt ist die Unfähigkeit des menschlichen Verstandes, alles in der Welt zueinander in Beziehung zu setzen.

Wir leben auf einer Insel der Ahnungslosigkeit."

Aus der größten Barmherzigkeit erwächst allerdings auch das größte Grauen.

Diese Insel ist wie das Internat, diese Welt im Kleinen, die Hölle.

Also malt Mondtag, musikalisch unterstützt von T.D. Finck von Finckenstein,

dessen teils minimalistische, teils romantische Kompositionen und Klangkulissen einen düsteren Echoraum des Schreckens und der Paranoia erzeugen,

eine Serie von Höllenszenen, die den Visionen eines Hieronymus Bosch in Nichts nachstehen. Ein Albtraum gebiert den nächsten, und so geht es immer weiter.

In einer der Litaneien des Chors der Internatskinder, dem neben sieben Dortmunder Ensemblemitgliedern auch zehn Studierende des 2. Jahrgangs der Folkwang Universität der Künste gleichberechtigt angehören, erklingt der Satz:

"Die Kunst erkennt man daran, dass sie ewig ist“. Von einer zeitlosen Ewigkeit ist auch Mondtags Inszenierung. Allerdings legt sie eine andere Definition nahe:

Kunst erkennt man daran, dass sie das Ewige sichtbar

und damit vielleicht auch endlich macht.

 

Quelle: www.nachtkritik.de

 

                                               Trailer "Das Internat" -  Schauspiel Dortmund

                                                  Weitere Aufführungen: 10./11.03., 19.30 Uhr

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                                                                        06.02.18

 

 

UNO- Die Weltfriedensorganisation als

das GE-WISSEN der Weltgemeinschaft im Werden?

 

 »Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.«

Gewaltverbot, UNO-Charta 1945

(Kapitel 1, Artikel 2, Absatz 4)

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die USA die Gründung der UNO

explizit unterstützt.

Präsident Harry Truman, der über Japan zwei Atombomben abwerfen ließ,

erklärte, die UNO sei wichtig, aber nicht vollkommen:

‚In einer Welt ohne einen solchen Mechanismus wären wir zu ständiger Angst vor unserer eigenen Vernichtung verdammt.

Es wäre also wichtig, dass wir einen Anfang machten, und sei er noch so unvollkommen.‘

Und Henry Cabot Lodge, der spätere US-Botschafter bei der UNO, meinte, die Weltfriedensorganisation könne der Welt zwar ‚nicht den Himmel bringen‘, aber uns vielleicht vor der Hölle bewahren.‘ 

[..]

Da die Weltfriedensorganisation bis heute von Menschen und ihrer

mitunter ausgeprägten Gier nach Macht und Reichtum geleitet wird,

ist klar, dass die UNO ein Abbild der Menschen und ihres jeweiligen Bewusstseinszustandes sein muss,

unvollkommen und dennoch unersetzlich.

Der deutsche Politologe Klaus Dieter Wolf, der als Professor an der Universität Darmstadt lehrt, beschreibt die Organisationen des UNO-Systems daher treffend als ‚eine Inselgruppe der Zivilisation in einem Meer von Anarchie‘, die den ‚regellosen Naturzustand zwischen Staaten zwar nicht grundsätzlich‘ überwindet, aber ‚einen wichtigen Beitrag‘ dazu leistet,

‚dass immer mehr Spielregeln eingeführt werden,

die auch die Logik der Machtpolitik auf längere Sicht verändern.‘

[..]

Die UNO ist ein großes Theater.

Der irische Politiker Conor Cruise O’Brien bezeichnete die UNO

einst treffend als ‚das heilige Drama‘,

der eindrucksvolle Raum des Sicherheitsrates und auch die große Halle der Generalversammlung seien in erster Linie imposante Kulissen,

obschon man nicht immer wisse, ob eine Komödie oder Tragödie gespielt werde.

‚Die Szene bleibt gewaltig, selbst wenn die Akteure es nicht sind… ein Theater der Absurditäten.

Überströmt von Schreckgespenstern in seiner Form und in seinen Inhalten. Auf der gemeinsamen Ebene ist es eine hoffnungsvoll ernsthafte Farce,

von deren Fortgang unser Leben abhängig sein könnte‘.

[..]

Angesichts einer Vielzahl von Kriegen sind wir heute gezwungen zu analysieren, warum und wo die UNO sabotiert wurde und versagt hat. Dieses Buch zeigt,

dass die Ineffizienz der UNO nicht in ihrem System begründet liegt,

sondern dem individuellen Versagen ihrer Mitglieder geschuldet ist,

die zeitweilig unfair agierten und die UNO mit Lügen im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung sabotierten.

Das ist konsequenterweise, der Punkt für die Lösung des Problems der ‚Ineffektivität‘.

Jede Reform der UNO, die das dominante Problem der Lügen nicht einbezieht,

muss längerfristig scheitern.      

 Daniele Ganser, Illegale Kriege, Orell Füssli Verlag, 2016, 23-24.

                                                                                              _________________________________________________________________

 

 

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                                                                                                                                         Das Wissen richtet sich nach dem Gewussten

                                                                                                                  

 

                                       Max Planck:

                 Die Physik im Kampf um die Weltanschauung

                Vortrag, gehalten im Harnack-Haus, Berlin-Dahlem, am 6. März 1935.

 

 

                           Meine hochverehrten Damen und Herren!

                                                           […]

Es ist allgemein bekannt,

dass die Methoden der physikalischen Wissenschaft

sich wegen ihrer Exaktheit als ausnehmend fruchtbar erwiesen haben

und daher auch für die Geisteswissenschaften in gewisser Weise vorbildlich

geworden sind.Dann aber auch inhaltlich.

Wie eine jegliche Wissenschaft ursprünglich vom Leben ausgeht, so lässt auch die Physik sich tatsächlich niemals vollständig trennen von den Forschern, die sie betreiben, und schließlich ist doch jeder Forscher zugleich auch eine Persönlichkeit, mit allen ihren intellektuellen und ethischen Eigenschaften.

Daher wird die Weltanschauung des Forschers stets auf die Richtung seiner wissenschaftlichen Arbeit mitbestimmend einwirken, und es ist selbstverständlich, dass dann auch umgekehrt die Resultate seiner Forschung nicht ohne Einfluss auf seine Weltanschauung bleiben können. Dies für die Physik im einzelnen auszuführen, werde ich als die Hauptaufgabe meiner heutigen Ausführungen betrachten.

Ich hoffe also, wenn auch nicht sofortige Zustimmung, so doch wenigstens keinen direkten Widerspruch von Ihnen zu erfahren, wenn ich behaupte, dass auch die Physik im Kampf um die Weltanschauung eine Waffe,

und zwar eine sehr scharfe Waffe, zur Verfügung stellen kann.

 

Beginnen wir mit einer Überlegung allgemeinerer Art.

Eine jede wissenschaftliche Betrachtungsweise hat zur Voraussetzung die Einführung einer gewissen Ordnung in die Fülle des zu behandelnden Stoffes.

Denn nur durch eine ordnende und vergleichende Tätigkeit kann man die Übersicht über das vorliegende und sich unablässig haufende Material gewinnen,

welche notwendig ist, um die auftretenden Probleme zu formulieren und weiter zu verfolgen.

Ordnung aber bedingt Einteilung, und insofern steht am Anfang einer jeden Wissenschaft die Aufgabe, den ganzen vorliegenden Stoff nach einem gewissen Gesichtspunkt einzuteilen.

Aber nach welchem Gesichtspunkt?

Das ist nicht nur der erste, sondern, wie zahllose Erfahrungen gezeigt haben, sehr oft geradezu der entscheidende Schritt auf der Bahn, welche die Entwicklung der ganzen Wissenschaft einschlägt.

Hier ist nun von besonderer Wichtigkeit die Feststellung,

dass es einen bestimmten, von vornherein zweifellos feststellbaren Gesichtspunkt,

nach welchem eine endgültige, für alle Fälle passende Einteilung getroffen werden kann, in keinem Fall, in keiner einzigen Wissenschaft gibt,

dass man also in dieser Beziehung niemals von einem zwangsläufigen,

aus der Natur der Sache selbst entspringenden und von jeder willkürlichen Voraussetzung freien Aufbau einer Wissenschaft reden kann.

Über diesen Umstand müssen wir uns vor allem klar sein.

 

Er ist deshalb von grundsätzlicher Wichtigkeit, weil aus ihm deutlich hervorgeht, dass gleich am Anfang einer jeden wissenschaftlichen Erkenntnis eine Entscheidung über den Standpunkt der Betrachtung getroffen werden muss, zu deren Festsetzung sachliche Erwägungen nicht ausreichen, sondern Werturteile mit herangezogen werden müssen.

Nehmen wir ein einfaches Beispiel aus der reifsten und exaktesten aller Wissenschaften, der Mathematik. Sie behandelt das Reich der Zahlengrößen.

Um eine Übersicht über alle Zahlen zu gewinnen, liegt es wohl am nächsten,

sie nach ihrer Größe zu ordnen.

Dann stehen sich zwei Zahlen um so näher, je weniger sie sich

an Größe unterscheiden. Ich will nun zwei Zahlen nennen,

welche an Größe einander fast ganz gleich sind.

Die eine Zahl ist die Quadratwurzel aus 2, die andere Zahl ist der zwölfziffrige Dezimalbruch 1,41421356237. Die erste Zahl ist nur um wenige Billiontel größer als die zweite. Daher können die beiden Zahlen bei allen numerischen Rechnungen in der Physik wie in der Astronomie als völlig identisch behandelt werden.

Sobald man aber die Reihe der Zahlen nicht nach ihrer Größe, sondern nach ihrer Herkunft ordnet, klafft zwischen den beiden Zahlen ein himmelweiter Unterschied. Denn der Dezimalbruch ist eine rationale Zahl, er lässt sich ausdrücken durch das Verhältnis zweier ganzer Zahlen, während die Quadratwurzel irrational ist und jene Eigenschaft nicht besitzt.

Stehen sich nun die beiden genannten Zahlen nahe oder stehen sie sich nicht nahe? Ein Streit über die so gestellte Frage hätte ungefähr ebenso viel Sinn wie der Streit zwischen zwei Personen, die einander gegenüberstehen, über die Frage, welche Seite die rechte und welche die linke ist.

 […]

Wie steht es denn nun aber mit der Willensfreiheit, deren Primat uns doch durch unser Selbstbewusstsein, also durch die unmittelbarste Erkenntnisquelle, die es geben kann, mit aller Sicherheit verbürgt wird?

Ist auch der menschliche Wille kausal gebunden oder ist er es nicht?

Die so gestellte Frage ist, wie ich das schon wiederholt darzulegen versuchte, ein Musterbeispiel für eine Art von Problemen, die wir oben als Scheinprobleme bezeichnet haben, die nämlich genau genommen gar keinen bestimmten Sinn besitzen.

Im vorliegenden FaIle liegt die vermeintliche Schwierigkeit nur in einer unvollständigen Formulierung der Frage. Der wirkliche Sachverhalt lässt sich kurz folgendermaßen aussprechen.

Vom Standpunkt eines idealen alles durchschauenden Geistes betrachtet ist der menschliche Wille, wie überhaupt alles körperliche und geistige Geschehen, kausal vollständig gebunden. Dagegen vom Standpunkt des eigenen Ich betrachtet ist der auf die Zukunft gerichtete eigene Wille nicht kausal gebunden, und zwar deshalb, weil das Erkennen des eigenen Willens seIber den Willen immer wieder kausal beeinflusst, so dass hier von einer endgültigen Erkenntnis eines festen kausalen Zusammenhanges gar nicht die Rede sein kann.

Man könnte dafür auch kurz sagen: objektiv, von außen, betrachtet ist der Wille kausal gebunden, subjektiv, von innen, betrachtet ist der Wille frei.

Diese beiden Sätze widersprechen sich einander ebensowenig, wie die beiden einander entgegengesetzten Behauptungen über die rechte und linke Seite, von denen früher die Rede war. Wer dem nicht zustimmen will, der übersieht oder vergisst, dass das eigene Wollen dem eigenen Erkennen niemals restlos untertänig ist, sondern ihm gegenüber stets das letzte Wort behält.  

Es bleibt also dabei, dass wir auf den Versuch, die Motive unserer eigenen Willenshandlungen lediglich auf Grund des Kausalgesetzes, also auf dem Wege rein wissenschaftlicher Erkenntnis, vorauszubestimmen, grundsätzlich Verzicht leisten müssen, und damit ist ausgesprochen, dass kein Verstand und keine Wissenschaft genügt, um eine Antwort zu geben auf die wichtigste aller Fragen, die uns im persönlichen Leben überall bedrängen, die Frage: wie solI ich handeln? 

 […]

Freilich: über eines müssen wir uns von vornherein klar sein.

Die erstrebte Wirkung, ein endgültig befriedigender Zustand, wird und kann niemals voll erreicht werden. Denn auch die beste und reifste ethische Weltanschauung führt uns nicht bis hin zum Ziel idealer Vollendung, sie kann uns immer nur die Richtung zeigen, in welcher das Ziel zu suchen ist.

Wer das nicht beachtet, gerät leicht in die Gefahr, entweder der Mutlosigkeit zu verfallen oder aber an dem Wert der Ethik überhaupt zu zweifeln und dadurch,

gerade wenn er ganz ehrlich gegen sich sein will, sogar zu Angriffen gegen sie getrieben zu werden. Die Philosophien der Ethik geben manche Beispiele dafür.

Es ist eben in der Ethik genau wie in der Wissenschaft.

Das Wesentliche ist nicht der stabile Besitz, sondern das Wesentliche ist der unaufhörliche, auf das ideale Ziel hin gerichtete Kampf, die tägliche und stündliche Erneuerung des Lebens, verbunden mit dem immer wieder von vorn beginnenden Ringen nach Verbesserung und Vervollkommnung.

Ist aber nicht, so müssen wir uns doch schließlich fragen, ein solch fortwahrendes, im Grunde aussichtsloses Sichabmühen im höchsten Grade unbefriedigend?

Hat denn eine Weltanschauung überhaupt noch einen Wert, wenn sie denen, die sich ihr hingeben, nicht irgendwo im Leben wenigstens einen einzigen festen Punkt aufzeigt, der in den steten Noten und in der Unrast ihres Daseins einen unmittelbaren und bleibenden Halt gewahrt?

Wir wollen uns glücklich preisen, dass diese Frage sehr wohl eine bejahende Antwort zulässt.

In der Tat:

es gibt einen festen Punkt, einen sicheren Besitz, den in jedem Augenblick ein jeder, auch der geringste, sein eigen nennen kann, einen unverlierbaren Schatz, der dem denkenden und fühlenden Menschenkind sein höchstes Glück, den inneren Frieden gewährleistet und dem daher Ewigkeitswert innewohnt.

Das ist - eine reine Gesinnung und ein guter Wille.

Diese beiden geben den festen Ankergrund in den Stürmen des Lebens, sie sind die erste Voraussetzung für wahrhaft befriedigendes Handeln und zugleich das wirksamste Schutzmittel gegen die Qualen nagender Reue.

Wie sie am Anfang einer jeden echt wissenschaftlichen Betätigung stehen,

so bilden sie den untrüglichen Maßstab für den sittlichen Wert eines jeden einzelnen Menschen.

 

Wer immer strebend sich bemüht,

 Den können wir erlösen.

 

 

 

 

Max Planck, Die Physik im Kampfe um die Weltanschauung,

Vortrag vom 6. März 1935 im Harnack-Haus in Berlin-Dahlem, in: Roos/Hermann, Max Planck, Vorträge, Reden, Erinnerung, Springer-Verlag 2001,119-136, passim.

 

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                                                  Der Luther Code: Sprung in die Freiheit (1/6)

 

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                                                                                                                                  28.10.17

                                       

                                                    Niklas Luhmann: Soziale Systeme

 

                                                                                                                                        22.10.17

Vertrauen als Reduktion sozialer Komplexität

 

 

"Erst in dem Maße, als der andere Mensch nicht nur als Gegenstand in der Welt, sondern als alter ego ins Bewußtsein tritt, als Freiheit die Dinge anders zu sehen und sich anders zu verhalten, wird die traditionelle Selbstverständlichkeit der Welt erschüttert, wird ihre Komplexität in einer ganz neuen Dimension sichtbar, für die vorerst keine angemessenen Formen der Erfassung und Absorption zur Verfügung stehen."

 

 Seite 22

 

 

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"Ich bin Wind und Du bist Feuer"

 

In dieser exzellenten Biografie zeichnet die renommierte Sufismus-Kennerin Annemarie Schimmel ein überzeugendes Bild von Leben und Werk des großen Mystikers und seiner historischen, politischen, kulturellen und theologischen Hintergründe.

Sie lässt uns eintauchen in seine Liebes- und Glaubenseinsichten, die sie mit einer exquisiten Auswahl seiner wundervollen Texte illustriert. Entzückt lauschen wir Rumis Sehnsuchtsmelodien nach der Einheit und lassen uns in den Bann seiner Gottesfreude ziehen.

 

 

 Soeben neu erschienen im Chalice-Verlag

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                                                                                  10.10.17

  Von der "Kosmogenese einer Theosophie"

 

                             oder

        „Der Geist fiel nicht vom Himmel“

 Eine der zentralen Entdeckungen der modernen Wissenschaft

ist die Einsicht, daß die Beständigkeit, in der sich die Welt unserem Erleben präsentiert,

nur scheinbar ist.

Sie ist nichts als eine optische Täuschung, hervorgerufen durch die relativ zu kurze Lebensdauer des menschlichen Beobachters.

Alles, was im Universum existiert, ist das vorläufige Ergebnis einer seit unvorstellbar langer Zeit ablaufenden Entwicklung, die wir neuerdings bis zu jenem fernen Punkt zurückzuverfolgen gelernt haben, der als der Anfang der Welt anzusehen ist.

Was vor diesem Punkt war, bleibt uns verschlossen. Warum es einen Anfang gab, ist eine unbeantwortbare Frage. Auch der Ursprung der Struktur der Urmaterie, der Bau des Wasserstoffatoms, ist für uns in dem Geheimnis dieses Anfangs und seiner Ursache verborgen. Alles das aber, was sich aus diesem Anfang ergeben hat, ist ein legitimer und grundsätzlich zugänglicher Gegenstand naturwissenschaftlicher Untersuchung.

Der nächste Schritt der Erkenntnis bestand in der Entdeckung, daß die Entwicklung kontinuierlich ist, in sich geschlossen. Es gibt nicht, wie wir zuerst glaubten, eine kosmische Entwicklung der toten Dinge, der Gase, Sonnensysteme und Spiralnebel,

und daneben eine unabhängig vorn kosmischen Geschehen auf der Oberfläche unseres - und anderer - Planeten sich vollziehende biologische Evolution.

Aus der rasch anwachsenden Fülle fast unübersehbar vieler Einzelbefunde aus den verschiedensten naturwissenschaftlichen Disziplinen ergab sich in den letzten Jahren ein ganz anderes Bild.

Wir beginnen heute zu begreifen, daß die Aufeinanderfolge ganzer Fixsterngenerationen die Ursache gebildet hat für die sich im Ablauf von Jahrmilliarden abspielende Erzeugung der 92 Elemente, aus denen alles besteht, was uns umgibt.

Die Astrophysiker und Chemiker haben herausgefunden, daß die Eigenschaften der durch diesen kosmischen Prozeß aus dem Wasserstoff des Anfangs hervorgegangenen Elemente ihren Zusammenschluß zu Molekülen immer komplizierterer Struktur unausweichlich zur Folge haben mußten.

Das geschieht, wie moderne radioastronomische Beobachtungen beweisen, sogar heute noch im freien Weltraum. Um so rascher vollzog sich der Prozeß auf der Oberfläche von Planeten, deren Gravitation die Moleküle auf engstem Raum konzentrierte. Biochemiker und Entwicklungsforscher haben in den vergangenen Jahren auf vielfältige Weise die Einwände widerlegt, die jahrzehntelang gegen dic Wahrscheinlichkeit ins Feld geführt worden sind, daß der Zusammenschluß der Moleküle aus der gleichen, inneren Gesetzlichkeit weiter fortschreiten mußte bis zu einem Niveau der Kompliziertheit, das den Beginn der biologischen Phase der Entwicklung einleitete. Zwar kolportieren mangelhaft oder einseitig Gebildete statistische Gegenargumente gegen diesen Schritt bis auf den heutigen Tag.

Wer jedoch bereit ist, die vorliegenden experimentellen Ergebnisse und Beobachtungsdaten zu Kenntnis zu nehmen, kann sich leicht davon überzeugen, daß die Materie unter dem Einfluß der Naturgesetze nicht nur Sonnen- und Milchstraßensysteme, sondern auch lebende Strukturen hervorbringen mußte.

So, wie die Naturgesetze sind, und so, wie die Materie beschaffen ist, war die Entstehung von Leben - genügend große Zeiträume vorausgesetzt - nicht nur wahrscheinlich, sie war unausbleiblich.

In diesem Buch wird die Ansicht vertreten, daß das auch für unseren Geist gilt.

Ich bin überzeugt, daß das heute vorliegende wissenschaftliche Material bei aller Lückenhaftigkeit unseres Wissens ausreicht, um nachzuweisen, daß die Materie im Verlaufe des gleichen Entwicklungsprozesses auch psychische Phänomene - Empfindungen und Gefühle, Wahrnehmungsvorgänge und schließlich ein Bewußtsein - mit Notwendigkeit hervorbringen mußte. Wenn man die Tatsache der chemischen und einer sich an diese Phase anschließenden biologischen Evolution anerkennt und voraussetzt, ebenso die Tatsache des Fortschreitens dieser Evolution zu immer komplizierteren Strukturen und Leistungen, dann erweist sich auch das Auftreten psychischer Phänomene im Verlaufe der biologischen Weiterentwicklung als unausbleibliches Ereignis. Mir ist klar, daß eine solche These zunächst mehr Vorurteile und Mißverständnisse wecken kann, als sich in einer kurzen Einleitung ausräumen lassen. Nur auf zwei werde ich kurz eingehen.

Das erste betrifft den Vorwurf des “Materialismus”. Wer ihn gegen den hier vertretenen Aspekt - die Einbeziehung der psychischen Dimension in den naturgeschichtlichen Evolutionsprozeß - erhebt, zielt auf jene Ideologie, die Ernst Bloch als “Klotzmaterialismus“ verspottete. Nun läßt sich nicht leugnen, daß diese primitive Variante im naturwissenschaftlichen Denken vorübergehend eine gewisse Rolle gespielt hat. Das gilt allerdings für eine Epoche, die inzwischen seit drei Generationen überwunden ist.   

 Man sollte der Naturwissenschaft diese Jugendsünde - der ohnehin auch in der schlimmsten Zeit nur ein Teil ihrer Vertreter verfallen war - heute daher nicht länger vorhalten. Vor allem aber: diese Primitivideologie ist hier nicht gemeint.

Nicht ohne Grund habe ich eben die Anerkennung der Tatsache einer chemischen und biologischen Evolution als Voraussetzung der Möglichkeit genannt, den hier gemeinten Aspekt verstehen zu können.

Denn wir dürfen nicht vergessen, daß wir - aus geistesgeschichtlich leicht rekonstruierbaren Gründen - die Materie jahrhundertelang in groteskem Maß unterschätzt haben.

Dieser Umstand hat die Einsicht in die Natur dieser Welt unnötig lange aufgehalten.

Wer sich darauf versteift, die Materie materialistisch mißzuverstehen, wer diesen Begriff nur von ideologischen Assoziationen belastet denken kann, der allerdings muß bei der Betrachtung moderner naturwissenschaftlicher Befunde schon sehr früh in Schwierigkeiten kommen, spätestens beim Übergang von der chemischen zur biologischen Evolution.

Wer die Entwicklung in Gedanken aber bis an den Anfang zurückverfolgt, dem geht auf, in welchem Maße wir der Materie unrecht getan haben.

Er entdeckt in der Struktur des Wasserstoffatoms - als der Materie des Uranfangs, aus der alles hervorgegangen ist, was heute existiert - den unübersehbaren Hinweis auf eine jenseits unserer Wirklichkeit gelegene Ursache der Welt.

Ist es dann aber womöglich “Biologismus”, wenn man die Ansicht vertritt, daß es im Ablauf der Evolution eine Stelle gegeben haben muß, an der die biologische Weiterentwicklung die Entstehung psychischer Erscheinungen zur Folge hatte?

Doch nur dann, wenn man gleichzeitig bestritte, daß sich damit erstmals eine grundsätzlich neue Dimension der Wirklichkeit auftat. Wer biologistisch denkt, wer also meint, Seelisches durch Biologisches erklären zu können - etwa als lediglich besonders komplizierte Form physiologischer Prozesse -, der hat nicht verstanden, was Evolution ist.

Das Wesen dieser universalen Entwicklung, die identisch ist mit der Geschichte der Welt, ist es gerade, daß sie mit naturgeschichtlicher Unausweichlichkeit Schicht auf Schicht Neues hervorbringt. Eben: Schicht auf Schicht.

Da fällt nichts vom Himmel.

Da ist nichts unvermittelt plötzlich da, was es vorher nicht gab. Da entsteht in einem kontinuierlichen Schöpfungsprozeß das Neue aus dem Alten: Da schließen sich Elemente zu Molekülen zusammen, mit neuen, bis dahin unbekannten Eigenschaften, die Möglichkeiten eröffnen, die sich nicht vorhersagen ließen.

Eine dieser Möglichkeiten war der Zusammenschluß bestimmter dieser Moleküle zu Strukturen, welche die Regeln, nach denen sie selbst aufgebaut waren, in sich enthielten.

Das führte zu der grundlegend neuartigen Fähigkeit der Selbstverdoppelung und damit für unser nachträgliches Verständnis zum fließenden und zeitraubenden Übergang von toter zu belebter Materie.

Hier entsteht also fortwährend Neues.

Wäre es nicht so, dann wäre die Welt heute noch leer.

Aber das Neue bildet sich in jedem Falle, ohne jede Ausnahme, auf dem Fundament des Gegebenen.

Es geht aus dem Alten hervor, es entsteht auf jeder Stufe durch eine Verwandlung des Alten. Jeder einzelne Schritt für sich bildet so etwas wie einen Abschluß.

Jede einzelne Stufe der Entwicklung wirkt in sich geschlossen, scheinbar vollkommen.

Es ist bei aller Großartigkeit der Evolution vielleicht ihr faszinierendster Aspekt, daß sie so nie zum Stillstand kam, weil jede Stufe. die sie erreichte, gleichbedeutend war mit neuen Möglichkeiten, durch die sie stets von neuem in Gang gesetzt wurde.

Auch unser Geist also, das ist die These dieses Buches, muß aus dieser Entwicklung hervorgegangen sein.

Woher sonst sollte er stammen?

Den Inhalt dieses Buches bildet der Versuch, den Weg, den die Entwicklung an der für diesen Übergang entscheidenden Stelle genommen haben muß, an Hand des bis heute vorliegenden wissenschaftlichen Materials nachzuzeichnen. Das ist keineswegs lückenlos möglich, sondern nur in der Form einer Skizzierung der wichtigsten Entwicklungslinien.

Das Bild ist aber deutlich genug, um dem, der es unvoreingenommen betrachtet, die befriedigende Einsicht zu verschaffen, daß es bei der Entstehung unseres Bewußtseins mit natürlichen Dingen zugegangen ist.

[...]

 

 

[Vom Anachronismus unseres Bewusstseins]

 Die Welt vom Zwischenhirn aus betrachtet

Welt und Wirklichkeit

Das Gehirn ist bis zu diesem Augenblick alles andere als ein Spiegel.

Viel eher könnte man es auf dieser Stufe der Entwicklung mit einer Hypothese über die Welt vergleichen[1], mit einem fleischgewordenen Entwurf der ein Lebewesen umgebenden Wirklichkeit. Es ist ein Muster von Nervenverknüpfungen, das in der Gestalt möglicher Verhaltensweisen vorwegnimmt, was in der Konfrontation mit der Außenwelt verlangt werden wird. Das hat allerlei Konsequenzen. Die erste besteht darin, dass ein solches Repertoire notgedrungen nur von sehr beschränktem Umfang sein kann. Die Zahl der Verhaltensprogramme, die sich in einem Zwischenhirn speichern lassen, ist nicht nur endlich, sondern sogar relativ klein. Da die Programme in der Form materieller Zellverbindungen vorliegen, ist das allein schon eine bloße Frage des Volumens. Eine bestimmte Menge von Nervengewebe enthält nur eine beschränkte Anzahl von Nervenzellen als »Schaltelemente«. Das ist leicht einzusehen, hat aber eine höchst bedeutsame Konsequenz. Denn da die Beziehung zwischen einem Individuum und der Außenwelt auf der Ebene des Zwischenhirns noch ausschließlich durch derartige festgelegte Programme hergestellt wird, folgt daraus, dass die Wirklichkeit eines »Zwischenhirnwesens« nur einen vergleichsweise winzigen Ausschnitt aus der objektiv vorhandenen Realität darstellt. Ich habe hier absichtlich den Begriff »Wirklichkeit« benutzt, anstelle des in diesem Zusammenhang seit Jakob von Uexküll meist verwendeten Worts »Umwelt«[2]

. Das Wort »Wirklichkeit« enthält etymologisch, aufgrund der Verwandtschaft des Wortstamms, einen unübersehbaren Hinweis auf das, worauf es mir hier ankommt: die »Wirklichkeit« eines Individuums ist die Gesamtheit aller Reize, Einflüsse und Faktoren, die aus der Außenwelt auf dieses Individuum dadurch wirken, dass es sie mit der Hilfe spezifischer Rezeptoren (Sinnesorgane) registriert. Die Einsicht, dass diese Wirklichkeit in jedem Falle enger oder ärmer sein muss als die Welt, in der sich das jeweilige Lebewesen objektiv befindet, ist für uns nicht neu.

Einer unserer Ausgangspunkte war die Erkenntnis, dass schon die erste lebende Zelle ihren Kontakt mit der Außenwelt, von der sie sich buchstäblich abgekapselt hatte, aus Gründen der Selbsterhaltung auf das unbedingt notwendige Minimum reduziert hatte.»

So wenig Außenwelt wie möglich«, diese Maxime hatte, aus Gründen der biologischen Selbsterhaltung - dies im vollen Sinn des Wortes -, die Weiterentwicklung über Jahrmilliarden hinweg geprägt.

 



[1]Ich benutze hier eine Formulierung Karl R. Poppers, der in seinen Schriften wiederholt den Gedanken ausgedrückt hat, dass unsere Sinnesorgane die Welt nicht entdeckten, sondern dass sie Hypothesen über diese Welt darstellten, die durch den Wahrnehmungsakt jeweils verifiziert würden.

 

[2]In seinem 1909 in Berlin erschienenen berühmten Buch »Umwelt und Innenwelt der Tiere« hat der Hamburger Biologe J. v. Uexküll erstmals in wissenschaftlicher Form die Argumente dafür zusammengetragen, dass die »Umwelt«, auf die ein niederes Tier sich bezieht, an Merkmalen und Eigenschaften sehr viel ärmer ist als die das Tier objektiv umgebende Wirklichkeit. Seine Feststellungen sind nach wie vor wichtig und interessant, auch wenn man heute nicht mehr alle Argumente und insbesondere nicht mehr alle Teile der von Uexküll aus seinen Überlegungen abgeleiteten Theorien akzeptieren kann. Auch das von diesem Autor verwendete Begriffspaar »Umwelt« bzw. »objektive Wirklichkeit« ist heute ausverschiedenen, darunter umgangssprachlichen Gründen nicht mehr geeignet, den Unterschied, auf den es ankommt, unmissverständlich zu erfassen.

 

 

Hoimar von Ditfurth, Der Geist fiel nicht vom Himmel - Die Evolution unseres Bewußtseins, dtv, 13. Auflage, 1993, 11-14, 172-173.

 

 

                                                                                                                 

 

                                                                                                                                            28.09.17 

                                                                                                                          

Von der Null als (isolierte) Singularität der Polstellen

 

oder

 

E10 als eine fundamentale Symmetrie der Physik

 

 

Gibt es ein Symmetrieprinzip, das das Zusammenführen aller

vier Fundamentalkräfte bewirken und erklären kann?

Wie würde ein derartiges Prinzip unser Verständnis von Raum,

Zeit und Quantenphysik verändern? Auf diese alten Fragen

gibt es bis heute keine umfassende Antwort. In den letzten

Jahren wurde ein neuer Zugang entwickelt, der auf einer einzigartigen

mathematischen Struktur mit dem Namen E10

basiert. Er könnte einen Rahmen zur Präzisierung dieser

Fragen bieten.

 

 

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                                                                             Wissenswertes zur Null

                                             Miklós Borsos, 0-KM-Stein in Budapest, 1975

 

Die Zahl Null ist die einzige Reelle Zahl, die weder negativ noch positiv ist.

"Die phantastische Geschichte der Null"

von Prof. Dr. Wolfram Koepf

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Rabih Abou-Khalil:

 

When The Lights Go Out

 

 

 Al Jadida (1991)

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 Rabih Abou-Khalil:

         

Time

 

   (Bukra, 1993)

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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    12.09.17

Unterwegs in der Einheit des Seins 

Gesammelte Schriften

 

Wie können wir auf der Suche nach Selbsterkenntnis das Einssein verwirklichen und uns der Einheit des Seins bewusst werden, wie sie insbesondere vom andalusischen Sufi Muhyiddin Ibn ‘Arabi gelehrt wurde?

 

 

 

 

Der türkische Mystiker Bülent Rauf (1911–1987), vielen Lesern bislang bekannt als die eindrückliche Figur »Hamid« aus dem autobiografischen Roman "Die letzte Schranke" von Reshad Feild, widmete Jahrzehnte seines Lebens der theoretischen Auslegung und praktischen Vermittlung dieses Wissens.

 

Die von ihm 1975 gegründete Beshara-Schule für intensive esoterische Erziehung in Schottland haben seither Hunderte von Menschen aus aller Welt besucht, um durch gemeinsames Studium und ganzheitliche Zusammenarbeit auf diesem formlosen, nicht religionsgebundenen Erkenntnisweg voranzukommen. Seine hier zum ersten Mal auf Deutsch vorliegenden Schriften versammeln erhellende Studientexte zu Grundfragen des Sufismus ebenso wie Interviews und Artikel rund um die Themen gelebte Spiritualität und Selbstvervollkommnung.

 

Weiter unter : www.chalice-verlag.com

 

Leseprobe

Weitere Ausschnitte aus dem Buch finden Sie hier...

 

ISBN 978-3-942914-23-9. Broschur. 216 Seiten. Euro 24,00.

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 Schirin Partowi und das AVRAM  Ensemble -

Klangbrücken zwischen den Kulturen

 Jüdische, christliche und islamische Gesänge

www.avram-ensemble.de

 

 

AVRAM - ALL IN ONE

Von Rumi (1207 - 1273) bis Simone Weil (1909 - 1943)

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                                                                                                                                                           10.07.2017

                                       

                                               Zur Kulturgeschichte  von "Schuld":

      

                                                         DAS ERBE

 

                                                                         EINE ASSOZIATION ZUM NSU

                                                                                               von 

                                                                    OLGA BACH und ERSAN MONDTAG 

                                                                            Uraufführung: 22 Juni 2017

                                                                                      Münchener Kammerspiele                                                                

 

„Sei gerecht“

(Franz Kafka, In der Strafkolonie) –

Seit nunmehr vier Jahren werden am Oberlandesgericht München die Morde der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ verhandelt.

Noch ohne einen Abschluss.

Doch auch wenn dieser tatsächlich einmal erfolgen sollte:

Könnte die Verurteilung der Schuldigen eine Art kathartische Reinigung der Gesellschaft herbeiführen?

Weisen die zahllosen, ihre Deutung erwartenden Indizien nicht vielmehr darauf hin,

dass der Prozess

selbst nur ein Detail in den wild wuchernden Verstrickungen einer eben

nicht

abschließend zuzuordnenden Schuld ist?

 

Weiter unter www.münchener-kammerspiele.de

 

 

SWR2 Kultur 

Erbengesellschaft: Eine Assoziation zum NSU

Kulturthema am 23.6.2017 von Sven Ricklefs

 

Ersan Mondtag ist ein echter Shootingstar unter den jungen Theaterregisseuren des Landes. Diesmal ist er an den Münchner Kammerspielen und damit in der Stadt des NSU-Prozesses gegen Beate Zschäpe. In "Das Erbe" stellt er die Frage nach unserem Umgang mit Schuld: bekennen wir uns zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung oder projizieren wir sie in nur eine Figur hinein, wie wir das gerade mit dem NSU Prozess und der Konzentration auf Zschäpe tun? "

Stark, eindringlich, herausfordernd", urteilt SWR2-Kritiker Sven Ricklefs.

 

Weiter unter  www.swr.de

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 Die Vernichtung

von Ersan Mondtag und Olga Bach

Uraufführung : 15. Oktober 2016

Konzert Theater Bern

 

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                                                                      Desert Rose

(Brand New Day, 1999)

 

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Sting: The Shape of My Heart

(Ten Summoner's Tales, 1993)

 

 

 

Sting, Josh Groban, and Chirs Botti live

with the Boston Pops Orchestra (Boston, 2008) 

                                                                                                                                                    09.06.2017

                                                                                   10

 

                                                                           Malchuth                                                      

 

 

                                                                               120

 

Was mir jedoch betrüblich erscheint ist, daß ich einige unbesonnene und törichte Götzendiener sehe, welche… die Vortrefflichkeit des Kultes der Ägypter imitieren; sie suchen nach der Gottheit, von der sie keinerlei Verständnis haben… womit sie nicht nur jene Götter und klugen Priester verhöhnen , sondern  auch uns… und was noch schlimmer ist, womit sie triumphieren, da sie ihre närrischen Riten in solch hoher Achtung sehen…

-         Gräme dich nicht, o Momos, sprach Isis, denn das Schicksal hat den Wechsel zwischen der Finsternis und dem Lichte befohlen. – Das Übel ist nur, erwiderte Momos, daß sie wähnen, sie seien im Licht.

 

Giordano Bruno, Spacio della bestia trionfante – Die Vertreibung des triumphierenden Tieres, 3

 

 

 Ich müßte zufrieden sein. Ich habe begriffen. Sagten nicht einige von ihnen, die Rettung komme, wenn man die volle Erkenntnis erreicht hat?

Ich habe begriffen. Ich müßte zufrieden sein. Wer hat gesagt, Zufriedenheit entspringe aus dem Betrachten der Ordnung, der verstandenen, genossenen, restlos verwirklichten, in Triumph und Freude verwirklichten Ordnung, dem Ende der Anstrengung? Alles ist klar, durchsichtig, das Auge ruht auf dem Ganzen und seinen Teilen, es sieht, wie sich die Teile zum Ganzen fügen, es erfaßt den Mittelpunkt, wo die Lymphe fließt, der Atem, die Wurzel aller Fragen…

Ich müßte erschöpft sein vor Zufriedenheit. Aus dem Fenster des Arbeitszimmers von Onkel Carlo schaue ich auf den Hügel hinaus auf den schmalen Mond, der gerade aufgeht. Der breite Buckel des Bricco, die sanfteren Rücken  der Hügel im Hintergrund, sie erzählen die Geschichte langsamer, schläfriger Bewegungen der Mutter Erde, die, sich streckend und gähnend, blaue Weiten in der dunklen Glut von hundert Vulkanen formte und wieder zerstörte. Keine Grundrichtung der tellurischen Ströme erkennbar. Die Erde wälzte sich in ihrem Halbschlaf, warf Falten und vertauschte eine Oberfläche gegen die andere. Wo vorher Ammoniten grasten, jetzt Diamanten. Wo vorher Diamanten keimten, jetzt Weinreben. Die Logik der Moräne, die Lawine, des Erdrutsches. Lockere ein Steinchen, wirf es aufs Geratewohl irgendwohin, es bewegt sich, kullert zu Tal, läßt hinter sich Raum frei (ah, horror vacui!), ein anderes Steinchen fällt darauf, schon bildet sich eine Höhe. Oberflächen. Oberflächen von Oberflächen auf Oberflächen. Die Weisheit der Erde. Und Lias. Der Abgrund ist das Abflußloch einer Ebene. Warum einen Abfluß verehren?

Doch warum schenkt mir das Begreifen keinen Frieden? Warum das Schicksal lieben, wenn es einen genauso tötet wie die Vorsehung und das Komplott der Archonten? Vielleicht habe ich noch nicht alles begriffen, mir fehlt noch ein Stück, ein Steinchen im Puzzle.

Wo habe ich gelesen, daß man im allerletzten Moment, wenn sich das Leben, Oberfläche auf Oberfläche, ganz mit Erfahrung überkrustet hat, alles weiß: das Geheimnis, die Macht und die Herrlichkeit, warum man geboren ist, warum man stirbt und wie alles auch hätte anders sein können? Man ist weise geworden. Aber die größte Weisheit ist in jenem Moment, zu wissen, daß man es zu spät weiß. Man begreift alles, wenn es nichts mehr zu begreifen gibt.

Jetzt weiß ich, was das Gesetz des Reiches ist, das Gesetz jener armen, verzweifelten und zerlumpten Malchuth, in die sich die Weisheit gerettet hat wie ins Exil, tastend nach ihrer verlorenen Klarheit suchend. Die Wahrheit von Malchuth, die einzige Wahrheit, die in der Nacht des Sefiroth leuchtet, ist, daß die Weisheit sich nackt in Malchuth enthüllt, und sie enthüllt, daß ihr Geheimnis im Nicht-Sein liegt, im Nicht-Existieren außer für einen einzigen Augenblick, nämlich den letzten. Danach fangen die Anderen wieder an.

Und mit den Anderen die Diaboliker, die nach Abgründen suchen, in denen sich das Geheimnis verbirgt, dass ihre Verrücktheit ist.

 

 

 

Umberto Eco, Das Foucaultsche Pendel, Carl Hanser Verlag,

1989, 751-52. Gebundene Ausgabe:  EUR 25,90.

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                                Zentrum für Politische Schönheit

 

Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS)

ist eine Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit,

politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit.

 

Es setzt auf Menschlichkeit als Waffe,

vertritt den aggressiven Humanismus und experimentiert

mit den Gesetzen der Wirklichkeit.

Widerstand ist eine Kunst, die weh tun, reizen und verstören kann.

 

Grundüberzeugung des Zentrums für Politische Schönheit ist,

dass die Lehren des Holocaust durch die Wiederholung politischer Teilnahmslosigkeit,

Flüchtlingsabwehr und Feigheit annulliert werden

und dass Deutschland aus der Geschichte nicht nur lernen,

sondern auch handeln muss.

 

 

                                           Mehr unter: www.politicalbeauty.de

 

 

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                 Transkulturelle Verschränkungen - Futuristische Perspektiven

 

Liebe als Kommunikationscode oder warum die Sprache der Wissenschaft neu formuliert werden muss:

 

  Niklas Luhmann (1927 -1998), Die Liebe als Passion, Codierung von Intimität

 

 

                                                           

 

 

Seit langem gehört es zum Wissensbestand der Soziologie, daß Fühlen und Handeln in Intimbeziehungen an kulturellen Imperativen orientiert sind und daß selbst sexuelle Beziehungen in Phantasie und Praxis diesem Einfluß Einschränkung und Steigerung verdanken. Die semantischen Codes, die diesen Einfluß steuern, unterliegen ihrerseits einem historischen Wandel. In einer gut dreihundertjährigen Entwicklung reagiert die Form der Liebessemantik auf eine zunehmende gesellschaftliche Ausdifferenzierung personaler, privater Intimität. Sie entwickelt sich von Idealisierung über Paradoxierung zur heutigen Problemorientierung.

 

 

 

Erschienen: 26.04.1994

suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1124,

Broschur, 231 Seiten, 14,00 €.

 ISBN: 978-3-518-28724-8

 

 

 

 

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Barzakh 

Haithem Mahbouli : Guitar

Sami Khouja : Drums

Nadim Ben Tara : Bass, Back Vocals

Mehdi Jouini : Guitar

Ghassen Horrigue : Vocals

 

 

 

 

 

The Cranberries: Zombie (1994)

( MTV Europe Music Award: Best Song 1995)

 

  

 

  REM: Loosin' my Religion (1994)

 

 

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                                                                        Dietrich Bonhoeffer (1906 -1945)

 

                                                                                             Lebensrechte — Im Krieg töten?

Einsam erwehrt sich der Mann des Gewissens

Erschütternd ist das Versagen der Vernünftigen, die weder den Abgrund des Bösen noch den Abgrund

des Heiligen zu sehen vermögen, die in bester Absicht mit etwas Vernunft das aus den Fugen gehende

Gebälk wieder zusammenbringen zu können glauben. [...]

Erschütternder noch ist das Scheitern alles ethischen Fanatismus.

Mit der Reinheit seines Wollens und seines Prinzips glaubt der Fanatiker der Macht des Bösen entgegentreten zu können.

Aber weil es zum Wesen des Fanatismus gehört, dass er das

Ganze des Bösen aus dem Auge verliert und wie der Stier auf das rote Tuch statt auf dessen Träger zustößt,

muss er schließlich ermüden und unterliegen.

Der Fanatiker verfehlt sein Ziel. [...]

Einsam erwehrt sich der Mann des Gewissens der Übermacht der Entscheidung fordernden Zwangslagen.

 Aber das Ausmaß der Konflikte, in denen er zu wählen hat — durch nichts beraten und getragen als durch

sein eigenstes Gewissen —, zerreißt ihn. [...]

Auf der Flucht vor der öffentlichen Auseinandersetzung erreicht dieser und jener die Freistatt einer

privaten Tugendhaftigkeit.

Er stiehlt nicht, er mordet nicht, er bricht nicht die Ehe,

er tut nach seinenKräften Gutes.

Aber er muss seine Augen und Ohren verschließen vor dem Unrecht um ihn herum.

Nur auf Kosten eines Selbstbetruges kann er seine private Untadeligkeit vor der Befleckung durch verantwortliches

Handeln in der Welt reinerhalten.

Bei allem, was er tut, wird ihn das, was er unterlässt, nicht zur Ruhe kommen lassen.

Er wird entweder an dieser Unruhe zugrunde gehen oder zum heuchlerischsten

aller Pharisäer werden. 

 

Aus der »Ethik«; DBW 6, S. 64-66

 

 

 

 

 

 

Nächtliche Stimmen

 

 

Langgestreckt auf meiner Pritsche

 

starre ich auf die graue Wand.

 

Draußen geht ein Sommerabend,

 

der mich nicht kennt, singend ins Land.

 

Leise verebben die Fluten des Tages

 

an ewigem Strand. Schlafe ein wenig!

 

Stärk' Leib und Seele, Kopf und Hand!

 

Draußen stehen Völker, Häuser, Geister und Herzen in Brand.

 

Bis nach blutroter Nacht

 

dein Tag anbricht —halte stand!

 

Dietrich Bonhoeffer

 

 

Aus einem Gemeindevortrag in Barcelona zum Thema »Grundfragen einer christlichen Ethik«, Februar 1929; DBW 10, S. 332f.

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                                                                 Die 120 Tage von Sodom

Gemeinsam mit dem Theater HORA, das in weltweit gefeierten Inszenierungen die Behinderung seiner Schauspieler zum Thema macht und 2016 mit dem Schweizer Theaterpreis ausgezeichnet wurde, schließen Milo Rau und das Schauspielhaus Zürich mit „Die 120 Tage von Sodom“ an Raus Produktion „Five Easy Pieces“ an.

Das in bisher 10 Ländern aufgeführte und an zahlreichen Spielorten zensierte Stück, in dem Kinder die Verbrechen des Pädophilen Marc Dutroux nachspielen, regte eine internationale Debatte über die Grenzen der Kunst und die Kraft des Theaters an.

Nun führt Milo Rau seine Untersuchung nach den Grenzen des auf der Bühne Ertrag- und Darstellbaren weiter, ausgehend von Pasolinis Skandalfilm „Salò oder die 120 Tage von Sodom“.

In der Alpenrepublik Saló – dem letzten Refugium einer faschistischen Regierung – werden junge Männer und Frauen entführt und von vier Vertretern eines untergehenden Regimes in einem Schloss gefangen gehalten.

In einer Reihe von sadistischen Ritualen werden die Jugendlichen missbraucht und erniedrigt und schliesslich in einer Gewaltorgie zu Tode gequält.

Der letzte Film von Pier Paolo Pasolini, vor dessen Ermordung beruht auf einem Roman des Marquis de Sade, der die explizite Darstellung sexueller Machtausübung als eine Art Gesellschaftsdiagnose im ausgehenden 18. Jahrhundert präsentierte.

Pasolinis Adaption des Stoffes wird oft als Kommentar auf eine Herrschaftsform gelesen, die das faschistische Regime zwar ablöste, aber ähnlich repressive Mechanismen fortführte: die moderne Konsumgesellschaft mit ihrer Normalisierung des Exzesses und der Perfektionierung des Menschen.

 

Weiter unter:  www.international-institute.de

 

 

Anouar Brahem

Qaf

Raf Raf

(Barzakh, 1990)

 

 

 

 

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 Farududdin Attars (1136 -1221) 'Vogelgespräche'  beschreiben den mystischen Pfad der Sufis.  Die Vögel repräsentieren die Menschheit. Sie werden vom Wiedekopf, dem Sufi, zusammengerufen, um sich auf die Suche nach ihrem geheimnisvollen König Simurgh im Qaf-Gebirge zu begeben. Die Vögel werden von Sehnsucht ergriffen, bringen aber wegen der Gefährlichkeit der Reise allerhand Entschuldigungen vor. Mit eindrücklichen Anekdoten über die Weisheit der alten Meister versteht es der Anführer, die noch zögernden Vögel erneut motivieren und sie ihre irdischen Bedingungen und Ideale vergessen zu lassen. Attar beschreibt diese sieben Täler als innere Zustände der Sufi-Mystiker: Suche, Liebe, Erkenntnis, Nichtbedürfen, Einheit, Verwirrung, Entwerden. Und endlich, nach langer Zeit, wenn die Sonne der Nähe leuchtet und sich ihnen das Antlitz der Güte zuwendet, erkennen sie im Widerschein ihrer selbst Simurgh, den König - Gott!

 

 

 

 

 ein paar Anekdoten hieraus: 

 

 Ibrahim Adham 

Ibrahim Adham sagte zu einem Mann, der sich ständig über die Bitterkeit der Armut beklagte: " Mein Sohn, vielleicht hast du nicht für deine Armut bezahlt?"

Da antwortete der Mann: " Was du sagst, ist Unsinn. Wie kann man Armut kaufen?" 

" Ich zumindest", sagte Adham, " habe sie freiwillig gewählt und sie um den Preis des Königreichs der Welt gekauft. Und ich würde immer noch hundert dieser Welten für einen Augenblick der Armut hingeben."

Menschen, die das Verlangen nach Selbstvervollkommnung fühlen, setzen ihre Seele und ihren Körper für dieses Ziel aufs Spiel. Der Vogel des Strebens fliegt hoch zu Gott.

Auf den Schwingen des Glaubens erhebt er sich über die weltlichen und spirituellen Dinge hinweg.

Wenn man dieses Streben nicht hat, ist es besser, sich zurückzuziehen.

 

 

 

 Gott spricht zu Moses

 

Eines Tages sagte Gott im geheimen zu Moses: " Geh und hole dir Rat beim Satan. "

Also ging Moses zu Iblis und bat ihn um ein Wort des Rates.

 " Denke immer ", sagte Iblis,

  " an diesen einfachen Grundsatz: Sage niemals 'ich', damit du niemals so wirst wie ich."

 Solange auch nur eine Spur von  Eigenliebe in dir ist, wirst du am  Unglauben teilhaben.

Trägheit ist eine Schranke auf dem spirituellen Weg.

Doch wenn es dir gelingt, diese Schranke zu überschreiten, werden hunderte Ichs  sich im Nu die Schädel einschlagen. Alle sehen deine Eitelkeit und Selbstüberschätzung, deinen Groll, deinen Neid und deinen Zorn;

nur du selbst siehst diese Eigenschaften nicht.

Ein Winkel deines Wesens ist voller Drachen, und durch deine Nachlässigkeit bist du ihnen ausgeliefert und hegst und pflegst sie Tag und Nacht.

Wenn du dir deiner inneren Verfassung bewußt bist, warum bleibst du dann immer noch so träge und teilnahmslos?

 

 

 

 

Der Liebhaber und seine Geliebte

 

Ein junger Mann, tapfer und wild wie ein Löwe, war fünf Jahre lang in eine Frau verliebt.

In einem Auge seiner Angebeteten befand sich ein kleiner Fleck, doch der Mann sah ihn nie, wenn er ihre Schönheit bewunderte.

Wie könnte ein so verliebter Mann einen winzig kleinen Makel entdecken? Doch nach und nach begann seine Liebe zu schwinden, und er erlangte die Herrschaft über sich selbst zurück.

Nun entdeckte er auch den Fleck und fragte sie, wie er entstanden sei. Sie antwortete: " Er tauchte in der Zeit auf, als deine Liebe abzukühlen begann. Als deine Liebe zu mir beschädigt wurde, wurde mein Auge unvollkommen für dich."

O ihr, die ihr im Herzen blind seid! Wie lange werdet ihr noch nach Fehlern anderer Menschen suchen? Bemüht euch, eurer eigenen schlechten Eigenschaften gewahr zu werden, die ihr so sorgfältig zu verbergen sucht. Wenn ihr eure Fehler in all ihrer Hässlichkeit seht, werdet ihr euch nicht mehr so um die Fehler anderer kümmern.

 

 

Der schlafende Liebhaber 

 

Ein Liebender, unruhig, bekümmert und von seinen Liebesseufzern erschöpft, schlief auf einem Grabhügel ein.

Als seine Geliebte vorbeikam und ihn schlafend fand, schrieb sie eine Nachricht und befestige sie mit einer Nadel an seinem Mantel.

Als  er erwachte und las, was sie geschrieben hatte, stöhnte er vor Seelenqual, denn dort stand: " O du törichter Mann! Erhebe dich, und wenn du ein Kaufmann bist, gehe deinen Geschäften nach und verdiene Geld.

Wenn du ein Asket bist, durchwache die Nacht, bete zu Gott und sei ein Sklave. Bist du aber ein Liebender, dann schäme dich.

Was hat denn Schlaf mit den Augen eines Liebenden zu tun?

Bei Tag mißt er den Wind, bei Nacht erleuchtet sein brennendes Herz sein Gesicht mit dem strahlenden Glanz des Mondes. Da du kein solcher Mann bist, rühme dich nicht länger deiner Liebe zu mir.

Wenn ein Mann in der Lage ist, woanders zu schlafen als in seinem Totenhemd, kann ich ihn wohl einen Liebenden nennen - aber nur einen Liebenden seiner selbst."

 

 

Farududdin Attar, Vogelgespräche, aus der englischen Übertragung  von C.S. Nott  (1887-1978) ins Deutsche übersetzt von Marion Zerbst, 3. Auflage, Ansata-Verlag 1988, 107,111,131-32.

 

 

Mausoleum Attars in Nischapur

 

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  Minor Empire - Second Natur

    Canadian Folk Music Awards:

     World Group of the Year 2011 

     Independent Music Awards:

    World Artist/Group of the Year 2012

 

 

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Warum die Zukunft weiblich ist oder über 

 "die männliche Herrschaft"

 

 Ein Mann beschäftigt sich mit den Unterschieden der Geschlechter.

Doch der Soziologe Pierre Bourdieu tut dies nicht, um den Feminismus unter männliche Dominanz zu bringen, sondern um zu zeigen, daß männliche Herrschaft eine besondere, politisch wie ökonomisch wichtige Form symbolischer Herrschaft darstellt. 

 

Männliche Herrschaft ist das Paradigma aller Herrschaft.

Sie hat sich in der sozialen Welt niedergeschlagen und ist in den Einstellungen aller, dem Habitus, präsent: als ein universelles Prinzip des Sehens, ein System von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskategorien.

 

Dies erklärt, warum eine solche Macht akzeptiert wird, denn sie beruht nicht auf einer freiwilligen Entscheidung, sondern auf der unmittelbaren Unterwerfung der sozialisierten Frauen.

Für Bourdieu bedarf es daher einer symbolischen Revolution, einer radikalen Umgestaltung jener gesellschaftlichen Verhältnisse, die die beherrschten Frauen dazu bringen, den Standpunkt der Herrschenden einzunehmen.

 

 

Pierre Bourdieu (1930 - 2002)

Die männliche Herrschaft

Aus dem Französischen von Jürgen Bolder

© Suhrkamp Verlag

suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2031

 978-3-518-29631-8, 14,00 € 

 

 

Titel der Originalausgabe: La domination masculine, Copyright © Editions du Seuil, 1998

Das Buch erschien zuerst in der von Pierre Bourdieu herausgegebenen Reihe »Liber«

 

 Leseprobe

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Rezension (2005) unter www.hsozkult.de

 

 

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                                           Altorientalische Musiktherapie und Sufismus

Dr. Rahmi Oruç Güvenç

Geboren am 26.08.1948 in Tavşanlı, Türkei.

Studierte an der Universität Istanbul, Literaturwissenschaft, Philosophie, Medizin & Psychologie.

Promovierte mit dem Thema der türkischen Musiktherapie an der medizinischen Fakultät der Cerrahpaşa Universität.

Er erhielt den Titel des Privatdozenten für Musikethnologie.

Zur Zeit bildet er europaweit ( Österreich, Deutschland, Schweiz & Spanien ) SchülerInnen in der türkischen Musiktherapie aus.

Er ist Gründer und Leiter der Gruppe Tümata, ( Türk Müziğini Araştırma ve Tanıtma Grubu - türkische Musik in Forschung & Präsentation).

1976 begann Dr. Güvenc, das Alte, in Archiven aufbewahrte Material der Musiktherapie zu studieren und wieder in die klinische Praxis zu integrieren. Eine Brücke zwischen der alten Tradition und der modernen Medizin war geknüpft.

Ein Teil von Dr. Güvencs Familie, mütterlicherseits, kommt aus Kirgisien und Tataristan. Väterlicherseits kommt die Familie aus Tataristan.

Im 19. Jahrhundert kommen beide Familienzweige nach Istanbul.

Zuhause spielte die zentralasiatische Musik, sowie auch die pentatonische Musik, immer eine große Rolle. Die Mutter sang Lieder aus der Heimat und die Brüder spielten auf den Originalinstrumenten.

Die Lieder erzählten von der Liebe zur Natur, der Liebe zu den Menschen, der Heimatverbundenheit und den Sehnsüchten der Menschen.

Im 12. Lebensjahr hatte Oruc Güvenc einen entscheidenden Traum:

"In diesem Traum begegnete mir ein Mann, den ich nicht kannte. Er war groß und dunkel gekleidet. Er hatte eine Violine in der Hand, die er mir mit den Worten reichte: "Spiel!" "Ich kann nicht spielen," erwiderte ich. "Doch du kannst!" Und der Mann bestand darauf. Ich nahm also das Instrument in die Hand und spielte. Es klang gut und bereitete mir große Freude."

 

Weiter unter www.heiligerklang-heilenderklang,de

 

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                                                                     Trans-kultureller Humor

 

 

                                                           Muhsin Omurca:

 

                                              Tagebuch eines Skinheads in Istanbul

 

Hansi, der Skin wird vom Gericht zu „vier Wochen Umerziehungstherapie in Istanbul“ verdonnert, nachdem er ein ganzes Stadtviertel abgefackelt hatte.

 

Doch zum Vergnügen ist Hansi nicht an der Türkenfront. Zur Seite gestellt wurde ihm Multikulti-Freak Dr. Botho Kraus, der die Umerziehung vor Ort leitet: „Tee trinken und Vorurteile abbauen“.

 

Hansi hätte einen deutschen Knast mit Schwulen und Kinderschändern vorgezogen.

Der Skin muss sich fügen und wird von Botho mit der türkischen Kultur bekannt gemacht: Die Zivilisation begann mit der gestrandeten Arche Noah am Berg Ararat. Also: „eigentlich sind wir alle Türken“.

 

Weiter unter www.mussin.de

 

 

 

Weiterführendes:

 

 „....‘Ich bin platt. Bin nur noch zweidimensional. Nichts als eine Radierung eines Türken. Ein Blatt Türke.‘

Der Türke als gezeichnete Person, als gesellschaftliche Konstruktion, die ohne weiteres ausradiert und überzeichnet werden kann [...]“

 

 

 Lars Koch (Siegen): Das Lachen der Subalternen: Die Ethno-Comedy in Deutschland, 219, in: Waltraud /Wara/ Wende (Hg.): Wie die Welt lacht. Lachkulturen im  Vergleich, Würzburg: Königshausen & Neumann 2008, S. 208-223.

 

und:

 

In seiner Dissertationsschrift  Eine Geschichte des türkisch-deutschen Theaters und Kabaretts  versucht Erol M.Boran "eine Kulturgeschichte des türkischen Theater und Kabaretts in der Bundesrepublik vorzustellen, deren Protagonisten (Organisatoren, Schriftsteller, Schauspieler und Regisseure) nunmehr bereits in die dritte Generation gehen, ohne dass die Geschichte der ersten Generation, der Initiatoren und bis heute treibenden Kraft dieses Theaters, je kohärent aufgezeichnet worden wäre."

Weiter unter:

www.publikationen.ub.uni-frankfurt.de

  

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                                   Leyla und Madschnun oder vom Geheimnis der Nacht

 

 

Layla und Madschnun begegnen einander 

 

 "…In ihren  Schleier gehüllt und beschützt von der Dämmerung, eilte Leila zum Garten. Ihre Seele flog ihren Schritten voraus. Dann sah sie Madschnun. Doch sie blieb stehen, bevor sie die Palme, an deren Stamm er lehnte, erreicht hatte. Ihre Knie zitterten, und ihre Sohlen schienen mit der         Erde darunter zu  ver-                                                                                         wachsen.

 

 

 

 

 

 

Azerbaijani Folk Art, Leila and Majnun                                              

                                                                                                     

Zehn Schritte trennten sie noch vom Geliebten. Ein Zauberkreis umgab ihn, und den durfte sie nicht überschreiten. Sie wandte sich dem Alten  [al-Ḫiḍr]  an ihrer Seite zu und sagte:

'Edler Mann! Bis hierher darf ich gehen – weiter nicht. Sieh, ich gleiche jetzt schon einer brennenden Kerze. Gehe ich näher ans Feuer, so verbrenne ich ganz. Die Nähe bringt uns Verderben, in der Religion der Liebenden ist sie ein Fehler. Es ist besser, krank zu sein, als sich des Heilsmittels nachher zu schämen… Wozu mehr verlangen? Auch er, Madschnun, der doch ein vollkommener Liebender ist, fordert nicht mehr. Aber geh du zu ihm! Bitte ihn, mir einige Verse zu sprechen! Er soll reden, und ich will nur Ohr sein, er sei der Schenke, und ich trinke den Wein…' 

 

Der Greis wollte tun, worum Leila ihn bat. Aber als er zu der stillen Gestalt unter dem Baum hineilte, sah er, daß Madschnun ohnmächtig geworden war. Sein Kopf war weit vornübergesunken. Voll Angst und Mitleid bettete ihn der Alte in seinen Schoß und besprengte sein Antlitz mit Tränen. Da kehrte Madschnun zur Besinnung zurück. Er richtete sich auf, und als seine Augen den Weg zu Leila fanden, flossen von seinen Lippen die Verse, um die sie gebeten hatte…

 

MADSCHNUN DICHTET VOR LEILA

 

'Wer bin ich? Ein Bettler, der singt für dich,

Geliebte, so fern-nah, erhörst du mich?

Von der Knechtschaft des Weltlaufs bin ich befreit,

und mein Schmerz ist auch meine Seligkeit.

Ein Ertrinkender, durstig im Wehstrom der Wonne,

ein Nachtblinder bin ich –

und Vertrauter der Sonne…

Meine Seele bist du, und ich bin die deine;

zwei Seelen sind wir, und sind doch nur eine;

zwei Rätsel und eine Lösung für beide:

daß jedes auf Erden am anderen leide.

So sind wir auch diesmal zehn Schritte getrennt,

obwohl sich das Eine im Zweien erkennt.

Doch muss hier, was eins ist, als Zweiheit erscheinen,

und darf sich nicht jetzt schon zum Einen vereinen.

Kein Weg führt vom Körper des einen zum andern;

es kann nur die Seele zur Seele wandern…

Das Herz ist ewig, weil es dich liebt;

der Tod ist dort, wo es dich nicht gibt.

Solang du in mir bist, bleibe ich heil,

denn du bist vom ewigen Leben mein Teil…'

Solche  Verse sprach Madschnun noch viele,

während Leila ihm zuhörte. Dann plötzlich verstummte er, sprang auf und floh wie Schatten aus dem Garten in die Wüste hinaus.

Denn war er auch trunken vom Dufte des Weines, den Wein zu trinken, ist im Paradies erlaubt."

 

 

Rudolf Gelpke , Leila und Madschnun, Manesse-Verlag, Zürich 2004, 276-279.

 

 

In seinem Nachwort zu seiner Übersetzung  schreibt Rudolf Gelbke (1928 -1972):

Nizami Ganjavi Mausoleum
Nizami Ganjavi Mausoleum

 

" 'Dank Nizami' 

[ 1141 -1209] sagt der russische Orientalist I.J. Kratschkrovskij (gestorben 1951), dem wir die Sichtung und Zusammenstellung der früharabischen  Quellen verdanken, 'beginnt dann Madschnun seinen Siegeszug auch in anderen Literaturen ohne jeden Konkurrenten. Und auch auf dem Gebiet der mystischen Liebe wird er seit dieser Zeit zum Ideal' ( auch deutsch von H. Ritter, in: "Oriens" 8/55, Leiden).

Das Leila-Madschnun-Thema bildet einen jener Berührungspunkte, in denen arabische und persische  Geistesart und dichterische Ausdrucksweise einander unmittelbar begegnet sind. Hier liegt reiches, aber noch weitgehend unerschlossenes Material zu einer  der schwierigsten und faszinierendsten Aufgaben, die sich der Orientalistik auf dem Gebiet der vergleichenden Literaturwissenschaft stellen." (ebd., 318).

 

 

 

What the World Needs Now

 

 

Zwei syrische Musiker, ein Amerikaner und ein Bulgare, alle Migranten in Deutschland, musizieren zusammen.

Sie stellen sich die Lieder ihrer Heimat vor; der geographischen und der musikalischen Heimat.

Barocke Vokalmusik und amerikanische Folksongs; arabische Kunstlieder

und neu geschriebene Lieder auf Englisch und Arabisch.

 

In diesen Zeiten der politischen Unruhe und menschlichen Orientierungslosigkeit ist der Wille - die Hand zu reichen - die mächtigste Politik. Die Macht der Liebe.


 

 

 

Hier eine Kostprobe:


Nottingham-Masters of War

 

 

 

Das Ensemble Sarband mit seinem Konzertprogramm "Die Arabische Passion nach J.S. Bach zu Bildern von Otto Pankok" ist am 20. Oktober in Düsseldorf zu sehen.

 

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Buchempfehlung:

 

Selahattin Akti, Gott und das Übel. Die Theodizee-Frage in der Existenzphilosophie des Mystikers Muhyiddin Ibn Arabi. Chalice Verlag 2016.

 

...Das Theodizee-Problem erregt in theologischen Kreisen auch heute noch Aufmerksamkeit. Ein Sammelband, in dem die Vorträge veröffentlicht wurden, welche im März 2007 bei einer Konferenz in Stuttgart gehalten wurden, an der an die hundert christliche und muslimische Wissenschaftler aus zehn Ländern teilnahmen, trug  folgenden interessanten Titel:

Prüfung oder Preis der Freiheit? Leid und Leidbewältigung in Christentum und Islam.

Bei dieser  Veranstaltung, die vor allem den christlichen und den muslimischen Standpunkt zu diesem Thema behandelte, wurde betont, dass in der modernen Theologie das Verständnis des Leids als Strafe nur noch die Meinung einer Minderheit ist. Der Behauptung, dass Gott den leidenden Menschen gegenüber schweigt und Sich passiv verhält, wird aus der Feder Walter Kaspers mit folgendem Einspruch entgegnet:

 

Der » sympathische« Gott, wie er in Jesus Christus offenbar wird, ist die endgültige Antwort auf die Theodizee-Frage, an der der Theismus wie der Atheismus scheitern. Wenn Gott selbst leidet, ist das Leiden kein Einwand mehr gegen Gott.

 

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