Bildungsreihe: Türkei

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                                                   Die Türkei zwischen Orient und Okzident

 

                                                                                                                    Karikatur von Walter Hanel/ KStA vom 31.08.2007

                           

 

"Die Türkei ist für sozialkritische  Bewegungen und die kritische Politikwissenschaft

in vielerlei Hinsicht ein enorm wichtiges Land:

An ihr können die Genese und die Folgen der gegenwärtigen neoliberalen Globalisierungsattacke

und die Krise sozialkritischer Bewegungen ebenso analysiert werden wie die politischen Herrschaftsformen im Übergang von der vorkapitalistischen Phase in den Kapitalismus

und die Rolle der Nato, des IWF, der Weltbank, der USA, und der EU als ökonomische

und militärische Regelungsinstrumente und führende Kraftzentren der kapitalistischen Welt.

Nicht zuletzt kann am Beispiel der Türkei die Kulturalisierung und Ethnisierung von Konflikten untersucht und entgegen der These vom „Krieg der Zivilisationen“ [ Bassam Tibi, 1998] bzw. „Kampf der Kulturen“ (Huntingten 1996; zur umfassenden Kritik: Çağlar 2001) die tiefe Verwicklung und Vermitteltheit des politischen Islam mit dem Fundamentalismus der kapitalistischen Moderne veranschaulicht werden. […]

Die europäische, aber auch deutschsprachige wissenschaftliche Literatur zur Geschichte und Gegenwart der Türkei ist zumeist voller Mythen und nicht hinterfragter Dogmen.

Die Jahrhunderte alten Vorurteile und Denkschablonen europäischer Mythenbildung über nichteuropäische Gesellschaften ersetzen in den meisten Fällen die konkrete Analyse dieser Gesellschaften. Ihre offensichtlichen Entwicklungslinien und Ereignisse werden lediglich herangezogen, um das eigene, bereits im Kopf vorhandene Gerüst zu illustrieren und bestätigen zu lassen. 

So wird zum Beispiel pauschal und vorab ein Fehlen der Zivilgesellschaft in der Türkei und im Osmanischen Reich sowie in allen „islamischen“ Gesellschaften behauptet und dieser scheinbare Mangel von vielen Autoren auf den „asiatischen“ bzw. „islamischen“ Charakter dieser Länder zurückgeführt,

in denen stets eine „orientalische Despotie“ oder „sultanistischer Patrimonialismus“ geherrscht habe.

[…]

Die größtenteils unbewußten Fallen der europäischen Produktion der Geschichte der Anderen im Prozess unreflektierter Eigen- und Fremdwahrnehmung schlagen also zumeist zu,

wenn kulturalistische Weltbilder die konkrete Untersuchung verdrängen. […]

 

Das vorliegende Buch versucht, jenseits alter und neuer Vorstellungen eines scheinbar übergeschichtlichen Orient-Okzident-Gegensatzes einen neuen kritischen

Interpretationsrahmen für die Türkei und deren Geschichte vorzustellen.

Gegen dichotomische Konstruktionen von staatszentrierten orientalischen Gesellschaften versus zivilgesellschaftsbestimmten okzidentalen Gesellschaften wird am historischen und gegenwärtigen Material eine  historische Dialektik von Staat und Zivilgesellschaft entfaltet,

die sich von dem italienischen Denker Antonio Gramsci [1891 -1937] leiten lässt

und seine Theorien der Hegemonie, der Zivilgesellschaft und des Staates für eine wissenschafltiche Analyse der Türkei und ihrer Geschichte fruchtbar machen will.“

 

 

 

Gazi Çağlar, Die Türkei zwischen Orient und Okzident.

 Eine politische Analyse ihrer Geschichte und Gegenwart.

Münster: Unrast 2003, passim.

244 S.; brosch., 14,- €; ISBN 3-89771-016-1

 

 

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